Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer

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– sie war zu Hause in Wiltshire, nicht wahr? Würden sie sie dort sehen?
    »Fahren Sie auf Besuch hinüber?«
    »O nein – wir …«
    »Sie müssen doch gehört haben, daß wir unsere Sachen packen«, erklärte Adelaide kategorisch. »Bestimmt haben Sie davon gehört.«
    Eine Entschuldigung schien vonnöten, so als hätte er es an Interesse mangeln lassen.
    »Es gibt so viele Dinge, von denen ich offenbar nichts höre.«
    »Nun, ich vermute, viele von denen werden Sie nicht treffen«, sagte Felicity und meinte damit die ortsansässigen Weißen.
    »Ach, es geht, wissen Sie, alles ganz freundlich. – Ich hab schon so oft daran gedacht, Sie einmal aufzusuchen, und immer wieder hab ich mir dann geschworen, wenn Olivia kommt …«
    Das Zittern von Adelaides greisem Kopf – das dünne Haar hatte sich die Farbe und Struktur einer Kokosmatte bewahrt – glich unter dem Haarnetz eher einem Beben. Sie sagte fest: »Unsere Zeit ist abgelaufen. Wir sind Museumsstücke, die man am besten in eine Vitrine stellen sollte.«
    Er sagte: »Ich hätte gedacht, Sie wären es ganz zufrieden, wenn sie hier ablaufen könnte. Haben Sie wirklich das Gefühl, daß Sie Ihre Zelte abbrechen müssen? Ich glaube, Sie hätten nichts zu befürchten, man würde Sie zufrieden lassen, oder?«
    Felicity sagte: »Unlängst haben uns diese Inspektoren aufgesucht – Adelaide mußte garantieren, daß wir niemanden entlassen würden, aus der Plantage, wissen Sie. Und einen neuen Schulinspektor haben sie auch, einen Eingeborenen – er wollte wissen, ob ich mich wohl an den Lehrplan halte, und er …«
    »Das macht doch nichts, Felicity.« Adelaide hatte sie zwar angeredet, ignorierte sie aber trotzdem. »Aber wir sind zu alt, James. Es geht einfach nicht, daß man in einem Land wie dem hier bleibt, bloß um in Ruhe gelassen zu werden.«
    Während Brays Reifen aufgepumpt wurden und er das Wasser seiner Batterie nachfüllen ließ, plauderten sie miteinander. Er versprach, Olivia zu schreiben und ihr mitzuteilen, daß die Fräulein Fowler kommen würden. Bei Adelaides Büchern handelte es sich, wie er bemerkte, um Lord Wavells Memoiren und um einen Mickey Spillane.
    Sie verabschiedeten sich und gingen die Straße unter den Bäumen hinunter, Adelaide mit ihren weißen Baumwollhandschuhen und dem Haarnetz, Felicity in ihren ausgebeulten Hosen und in Männersandalen. Die alte Adelaide (sie hatten sie immer Lady Hester Stanhope genannt – er und Olivia – und über sie gelacht)war letztlich also doch keine Romantikerin. Sie war früher keine Liberale gewesen, und jetzt war sie keine Romantikerin. Die alten Mädchen hatten nicht – zusammen mit Schwarzen – in ihrem Salon sitzen wollen, nun aber erwarteten sie nicht, daß man sie daselbst in Ruhe lassen würde. Sie hatten zur Kenntnis genommen, daß sie ein Anachronismus waren.
    Begegnungen dieser Art, die ihm in Wahrheit fernlagen, brachten seine Überlegungen aus dem Gleichgewicht. In Gedanken wurde der Brief abermals zerrissen. In die vier Winde gestreut. Was für einen selbstgefälligen, absurden Narren machte er denn aus sich? Dieses jungfräuliche Lüpfen der Röcke, damit sie nicht schmutzig würden. Ich bin nicht der und nicht der. Was, um Himmels willen, bin ich denn dann? Ein Pfadfinder? Einer, der im eigenen Rücken Beifall klatscht? Eine riesige Ungeduld mit sich selbst wallte in ihm auf; und auch das war für ihn etwas Neues, eine andere Art von Gewalttätigkeit – noch nie war er egozentrisch genug gewesen, sich dem Selbstekel hinzugeben. Immer hatte es zu viel zu tun gegeben. Jetzt aber weigere ich mich – ich weigere mich zu handeln. Weil ich nicht
das Recht habe, zu handeln
.
    Wieder dachte er: Dann geh weg, geh zurück in dein Haus in Wiltshire. Schließ endlich dieses verdammte Erziehungszeug ab. Vielleicht nützt’s was, kann jedenfalls keinen Schaden anrichten. Was du dir vorgenommen hast.
    Aber wie eine allmählich einsetzende Attacke von Zahn- oder Kopfschmerzen stellte sich wieder dieser Spannungszustand ein, daß er Shinza treffen wollte, sich nicht beherrschen konnte und eines Tages dabei ertappen würde, wie er die kleinen Vorbereitungen für eine Fahrt zurück zu den Bashi traf. Er würde wieder zu Shinza fahren, und sobald er dort war, würde er wissen, wozu.


    DIE TLUMES, DAS Edwards-Mädchen und ihre Kinder, die Alekes und Bray – es trieb sie zueinander, und sie sahen sich beinahe jeden Tag, allerdings ohne daß eine wirklich enge Freundschaft zustande gekommen