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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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immer nach dem ihr Gemäßen, das Schritt für Schritt dem jeweiligen Lebensstadium entsprach; ein Gefühl zärtlicher Zuneigung zu dem blonden, schlanken Mädchen mit der Hexenspalte zwischen den vorderen Schneidezähnen, das seine Frau geworden war, erwachte in ihm – es war wie die Erinnerung an jemanden, von dem man lange Jahre nichts gehört hatte und nach dem man sich nun erkundigte: »Und was wurde denn eigentlich aus …?«
    Unter der Post war auch eine Nachricht von Mweta. Der schlichte getippte Umschlag hatte durch nichts verraten, wer der Absender sein mochte, und als er das Blatt, das in ihm steckte,auseinanderfaltete und die Handschrift sah, tat er das eher mit dem Gefühl von etwas Unausweichlichem, von ihm Erwarteten, als daß er überrascht gewesen wäre. Mweta hoffte, die Subvention sei »ausreichend hoch gewesen«; wieder drängte er – und wie steht’s mit einem Haus, einem anständigen? Wann Olivia denn nun komme? Er hatte schon fest mit einem Brief von ihm gerechnet, aber vielleicht war Bray wieder unterwegs gewesen, auf dem Land? »Wir dürfen den Kontakt nicht abreißen lassen.«
    Jedesmal, wenn Bray sich wieder mit dem Faktum des Briefes auf dem Tisch konfrontiert sah, wurde er von einer Art Starrsinn gepackt. Der Brief war wie eine mahnende Hand, die sich ihm auf die Schulter legte; unter ihrem Druck wurde er steif wie ein Stock. Sein Kopf wandte sich störrisch den Fakten und Ziffern seines Berichtes zu: Das ist meine Aufgabe, sonst nichts. Damit kann ich von Nutzen sein. Er würde den Brief nicht beantworten; seine Antwort wäre, nicht zu antworten.
    Ein oder zwei Tage danach verfaßte er in Gedanken den Brief, und dieser begleitete ihn auf seinem Gang über die Straße von Gala.
Du kennst mich gut genug, um zu wissen, daß ich für dich nicht auf dem Lande »unterwegs« sein kann: Es ist unmöglich, daß ich dir Informationen über Shinza zuspiele, egal, wie vorsichtig wir das auch formulieren – du und ich. Du kannst mich nicht dorthin schicken, wo Lebaliso der Zutritt verweigert wird, ich kann unmöglich den Kurier-&-Spion zwischen dir und Shinza machen. Ich bin nicht zu diesem Zweck hierher zurückgekommen.
    Der Brief stellte sich immer wieder aufs neue selbst zusammen und um. Einmal, während er ganz und gar mit einer zugespitzten Variante beschäftigt war (diesmal war es eine Fassung, die unter alles einen Schlußpunkt setzte; nachdem man ihn abgeschickt hatte, würde man in ein Flugzeug steigen und nie mehr zurückkommen können, es sei denn als ein Löwen anstarrender Tourist, der der Landessprache nicht mächtig war), begegnete er den beiden Fräulein Fowler in der Reparaturwerkstatt. Er hatte die beiden alten Damen seit seiner Rückkehr aus England nicht gesehen, obwohl er sich nach ihnen erkundigt und sich vorgenommenhatte, sie irgendwann zu besuchen. Sie kamen trottend von der Princess-Mary-Bibliothek herunter, ihre Bücher in Tragriemen aus Gummi – genau wie vor zehn oder fünfzehn Jahren, als sie auf ihrem zweimonatlichen Besuch in der Hauptstadt in der Residenz mit Olivia immer zu Mittag gegessen hatten. Enttäuscht von der Liebe während des Krieges-vor-dem-letzten-Krieg waren sie in den frühen zwanziger Jahren »nach Afrika raus« gekommen und in einem Ford hoch hinauf ins Zentralplateau gefahren (Miss Felicity, die ältere, war in jenem Krieg Ambulanzfahrerin gewesen). Sie züchteten auf den Hängen um den See Tee und waren schon Teil der Landschaft gewesen, lange bevor er Kommandeur dieses Distrikts geworden war. Miss Adelaide leitete auf ihrem Grund eine kleine Schule und eine kleine Klinik; Höflichkeit, Nächstenliebe und aufmunternder Zuspruch waren für sie Teil ihrer Christenpflicht gegenüber der einheimischen Bevölkerung, obwohl sie sich – wie Felicity gegenüber Olivia freimütig zugab – an ein und demselben Tisch mit den Schwarzen niemals so wohl gefühlt hätten wie die Brays. Während des Treffens der Siedler im Fisheagle Inn, das Druck für die Entfernung Brays aus dem
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machen sollte, weil er den schwarzen Nationalisten Mut zusprach, erhoben sie sich als Abweichler protestierend von ihren Sitzen. Abgesehen von Major Boxer (der seine Meinung ohnehin durch sein Nichterscheinen kundgetan hatte), waren sie die einzigen Weißen gewesen, die ihn verteidigt hatten.
    Wie immer bestritt Adelaide den Großteil der Unterhaltung, übernahm die Sätze von Felicity und führte sie an ihrer Statt zu Ende. Sie interessierten sich hauptsächlich für Olivia

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