Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
bis zu den Schenkeln hinauf aufgekrempelt, watete er sicherheitshalber die Bucht entlang, vom einen Ende zum anderen; aber Schilf gab es hier ebensowenig wie halb untergetauchte Baumstämme, die plötzlich zum Leben erwachen konnten. »Meiner Meinung nach ist es hier absolut sicher.« Die Kinder waren schon ausgezogen. Ungeschickt hüpfend wie eine Frau, die sich die Hose auszieht, fing sie an, aus ihren Kleidern zu steigen – darunter trug sie ein geblümtes Ding von Badeanzug, das in ihre Oberschenkel einschnitt und bei der Lockerung des Gummizugs im sonnengebräunten Fleisch weiße Striemen hinterließ. Sie lief mit weichen, trottenden Schritten ins Wasser, an der einen Hand watschelte ein kleines, fettes Negerkind, an der anderen zerrte ein fröhlich hüpfendes, mageres weißes.
    Er hatte sich im Sand ausgestreckt, stand aber wieder auf, um seinen kurzsichtigen Blick durch die Brille hindurch über das durchsichtige Blaß und Geglitzer wandern zu lassen und aufzupassen, während sie im Wasser waren. Während der ganzen Zeit waren die Umrisse des schwarzen Babys verblüffend deutlich erkennbar, wogegen die anderen in einem sonderbar kraftlosgewordenen Licht verschwanden und nur eine Schulter, eine ausholende Hand oder eine aufglänzende Wange Gestalt annahm. Wo niemand lebt, hat die Zeit ihre Bedeutung verloren und die Interessen des Menschen sind irrelevant – ein intensiver Zustand bloßen Seins greift Platz. Während dieser Minuten, die er, die Augen in jener ältesten aller Gesten von der Hand überschattet, dastand, war er auf eine alles andere ausschließende Weise und jenseits aller wechselnden Stadien seines Lebens er selbst. Er war sich selbst zurückgegeben, weder jung noch alt, sonderte weder den Speichel des Bewußtseins seiner eigenen Individualität aus noch auch kleisterte er mit ihm das Nest aus Lehm und Stroh einer ihn umschließenden Lebensweise zusammen. Er rauchte eine Zigarre. Er hätte der Rauch sein können. Frau und Kinder kreischten auf, als sich ein Fisch, Maul an Schwanz, in einer einzigen Bewegung aus dem Wasser katapultierte und wieder zurückfiel. Er sah, wie sich ihre Gesichter ihm wie von einer anderen Küste her um ein bestätigendes Lächeln zuwandten.
    Sie brachte die Kinder zurück, stand ein wenig atemlos da und preßte ihre Haare aus der Stirn nach hinten, so daß über Nacken und Schultern Rinnsale liefen und sich auf ihrer von Natur aus wachsartigen Haut kleine Kügelchen bildeten. »Es-ist-soherrlich-schade-daß-Sie-nicht-« Sie war noch nicht wieder bei Atem; unschlüssig ging sie allein wieder ins Wasser, diesmal weiter hinaus. Er hatte das Gefühl, er ertrüge es nicht, sie alleine da draußen zu beobachten. Er dringe damit in ihre Freiheit ein. Er saß da, den Arm auf einem der Knie, wachsam, ohne wachsam zu wirken, und ließ seinen Blick in Abständen über das Wasser gleiten. Dieser feuchte, feminin-bewegliche, fleischig zitternde Körper, der im durchnäßten Stoff des Badeanzugs, der über der Nabelmulde eine Vertiefung bildete und sich über dem Schamberg wölbte, die paar lockigen Härchen, die dort, wo der Stoff in der Leiste hochgerutscht war, herausgesehen hatten – das war es also, was er geliebt hatte. Das also war dagewesen, das hatte er – »besessen« war ein lächerliches Wort, um nichts mehr hatte er ihn besessen als jetzt, da er ihn betrachtete. In diesen Körperwar er eingedrungen. Selbst »erkannt« – dieser gute biblische Euphemismus – paßte nicht. Er kannte diesen Körper nicht – er sah, mit Mitgefühl und gleichzeitig kritischem Männerblick, als sie nun zum zweiten Mal aus dem Wasser auf ihn zukam, daß die Beine, schön geformt bis zum Knie hinauf und mit schlanken Fesseln, an den Oberschenkeln dick waren, so daß das Fleisch »überquoll« und, prallvoll, bebte. Sie streckte sich neben ihm aus; sie schnüffelte, strahlte vor dem Vergnügen, das ihr das Wasser bereitet hatte. Abgesehen von den zwei kleinen Kindern war niemand da. Er sagte ihr – was er ihr vielleicht bei einem Zusammentreffen in einem anderen Leben gesagt hätte: »Tut mir leid, was passiert ist.«
    Die Worte lagen auf ihren geschlossenen Lidern wie die Sonne. Einen Augenblick lang schwieg sie, dann sagte sie vorsichtig: »Warum?«
    Er empfand Schuld, weil er Ohrenzeuge gewesen war, als man in der Hauptstadt über sie geredet hatte. Er antwortete nicht sofort.
    »Weil es ist, als wäre es nie passiert.«
    »Dann ist es in Ordnung«, sagte sie. Sie lag ganz still;

Weitere Kostenlose Bücher