Der Ehrengast
wissen lassen, ob das früh genug wäre? Er empfand die Toleranz vielbeschäftigter Menschen gegenüber den Beschäftigungen eines anderen.
Malemba saß mit in den Nacken gelegtem Kopf wartend da und tippte mit einem Bleistift gegen seine großen gelben Zähne; jetzt war alles wieder nur eine Frage des Geldes, des Geldes. Es gab da eine alte Polizeikaserne – rund um einen Innenhof quadratisch angeordnete Räume –, die sie sehr billig erwerben und für einen Betrag von ein paar hundert Pfund in Klassenräume umwandeln konnten. Die Subvention der Regierung war bereits für andere Dinge vorgesehen; Malemba sagte: »Und was, wenn Sie schreiben und um mehr bitten würden?«
»Wem schreiben?«
Er sah Bray an und zuckte die Achseln.
Ja, er brauchte Mweta bloß zu bitten; sagte er. »Und nehmen wir an, ich würde an meinen Freund, den amerikanischen Kulturattaché dort unten schreiben. Die sind ganz scharf auf Erziehungsprojekte. Natürlich sind ihnen die großen lieber, die, mit denen man was hermachen kann – wie die Universität zum Beispiel. Aber Vortragssäle – so müßte man das nennen –, vielleicht klingelt’s bei ihnen dann.«
Er hörte, wie sie durch die Fliegengittertür der Veranda kam, während er gerade sein Frühstück beendete. Sie trug Männerjeansund ihre Christussandalen mit den Gummiriemchen und war froh, daß sie rechtzeitig gekommen war. Sie wirkte sehr jugendlich – er wußte nicht, wie alt sie wirklich war, vermutlich um die dreißig. Mit einem Bindfaden, den er von den Paketen des Metzgers gerettet hatte, hatte Kalimo ein Brotpaket zusammengeschnürt: »Was ist da drin?« fragte Bray, und Kalimo zählte es mit dem Zeigefinger an den Fingern der anderen Hand ab: »Ah-h, geblatenes Hähnchen, Eiel mit den k’einen Fischen dlin, ah-h, Tomaten, Blot, Sa’z, k’eine bißchen Pfeffe’. Keine Butte’. Sie müssen kaufen Butte’.«
Es war das gleiche Picknick, das er immer vorbereitet hatte – bis hin zu den mit Sardellen gefüllten Eiern, wie es ihm von Olivia gezeigt worden war, und den Papierröllchen mit Salz und Pfeffer drin. »Machen Sie sich wegen der Butter bloß keine Gedanken, die würde sowieso nur schmelzen«, sagte das Mädchen. Auf dem Weg aus dem Ort hielt er an und kaufte statt dessen eine Flasche Wein.
Sie hatte ein kleines Radio dabei, und als er sie darauf aufmerksam machte, daß sie bei der Fischgefrieranlage möglicherweise ziemlich lange auf ihn würde warten müssen – »Ist auch nicht gerade der verlockendste Ort zum Warten!« –, da holte sie etwas heraus, das sie zum Lesen aus seinem Bücherregal genommen hatte – mehr in der Absicht, nicht zur Last zu fallen, als aus sonst einem Grund. Es war angenehm, im Auto Gesellschaft zu haben; sie zündete für beide die Zigaretten an, und das staubige Straßenstück, das zwischen den Bergen hinabführte, war schnell zurückgelegt. Soweit er bisher überhaupt von ihr Notiz genommen hatte, hatte er für das Mädchen, dessen Leben das von anderen Menschen überlappte, selbst aber kein Zentrum besaß, immer Mitleid empfunden. In diesem Augenblick kam sie ihm wie eine jener Anhalterinnen vor, die sich von der Welt tragen und treiben lassen, die sich, weil sie kein Zuhause haben, überall zu Hause fühlen, sich in Sicherheit glauben, weil sie kein Gepäck haben, und gute Gesellschaft sind, weil sie keine besonderen Vorlieben kennen. Ebensogut hätte sie ihn an der Straßeangehalten haben können, bloß um mitgenommen zu werden. Er stellte den Wagen in dem bißchen Schatten ab, den er bei der Fischfabrik fand; die Bäume zwischen den Gebäuden und dem häßlichen Hafenkai waren umgehackt worden, und im Staub lagen verstreut die zertrampelten Eingeweide von Fischen, über die sich armselige Köter und Fliegen hermachten. Er sah, wie sie es sich auf der Stelle bequem machte, die Wagentüren öffnete, um Durchzug zu schaffen, und das kleine Radio mit ausgezogener Antenne am Fenster aufhängte.
In der Woche davor hatten die Zeitungen von Auseinandersetzungen in der Fischfabrik berichtet; Unzufriedenheit über das Anstellungsverhältnis der sogenannten »Gelegenheits«-Arbeiter – es war nicht ganz klar, worum es ging. Weswegen er gekommen war, das waren zusätzliche Daten über die Anzahl der Familien und die Größe des Gebiets, aus dem sie stammten, und darüber, wie sie in den Statistiken über die männlichen Angestellten, die auf den Trawlern arbeiteten, erschienen; es gab da in seinen Aufzeichnungen eine gewisse
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