Der Ehrengast
mehr Polizei. Zumindest am Anfang. Am Ende herrscht dann selbstverständlich Friede, einfach, weil die Arbeiter keine Rechte mehr haben, die sie verteidigen könnten. Staat und Arbeitgeber, die sich im Besitz des Wissens glauben, was für die Wirtschaft das Beste ist, entscheiden, was sie brauchen und was nicht. Und auch dafür gibt’s einen Namen.
Ohne Ironie fügte er noch hinzu, daß er einen Blick in den Gerichtssaal werfen würde, wenn die militanten Anhänger der PIP vorgeführt würden; für die Partei sei es gut, daß sie verhaftet und dem Gericht überantwortet worden seien.
In dieser Woche kam sie einmal früh am Morgen, aber nicht früh genug, als daß nicht Kalimo schon auf den Beinen gewesen wäre. Sie machte die Schlafzimmertür leise hinter sich zu, und er hörte eine heisere frühmorgendliche Stimme, seine eigene: »Sperr ab.« Sie war fix und fertig für die Arbeit angezogen undhatte einen Aktenordner unter dem Arm. Der Raum war verdunkelt und ein wenig muffig von der Nacht, von seinen herumliegenden Kleidungsstücken, den privaten Ausdünstungen seines Körpers. Die gegen die Vorhänge drückende Sonne entzündete die Embleme aus Fischen, Porzellanschnecken, jungen Kampfhähnen, die ihre üppig prunkende Glut quer durch den Raum warfen, zu einem fliesenartigen Muster. Er stützte sich im Bett auf einen Ellbogen auf, ohne allerdings ganz wach werden zu wollen. Sie roch nach kaltem Wasser und Zahnpasta, ihr Herz schlug leicht und schnell, gespeist von der Energie eines Menschen, der schon eine Weile auf ist. Das seine schlug noch immer im langsamen Rhythmus des Schlafes. Mit seinem sandpapierartigen Bart und seiner Nachtwärme trocknete er diesen oberflächlichen Tau der morgendlichen Körperpflege auf, und darunter fand er sie. Bei geschlossenen Augen zog er ihr die frisch angelegten Kleider aus, an denen er mit unempfindlichen Fingern herumzerrte und -fummelte. Es ging ihm nicht darum, sie auszuziehen, es ging ihm darum, ihr Geschlecht bloßzulegen, wie man von jemandem sagt, er lege sein Innerstes bloß. Sie ließ sich hinunter in die während der Nacht aufgestaute Wärme und nahm ihn in ihren Mund, das feine Kopfhaar zwischen seinen Beinen. Mit einer Intensität, die das ganze Leben verschlossen in ihm gelegen hatte (dunkler, unterirdischer See, dessen Auge er nie gefunden hatte), wurde Barriere um Barriere überwunden, jedes noch so entfernte Ufer des Selbst erreicht und zurückgelassen, wurden die Worte wieder mit jener süßen, schleimigen Membran, der sie entrissen worden waren, vereinigt.
Sie holte ein sauberes Taschentuch aus seinem Schubladkasten, tauchte es ins Wasserglas neben seinem Bett und wischte sich ab – das Gesicht, die Armhöhlen, das Geschlecht. Sie wollte weder Kalimo noch Mahlope auf dem Weg ins Badezimmer begegnen. Sie zog sich an.
»Ich steh auf und seh nach, ob die Luft rein ist.«
»Ich geh über den Golfkurs – der Wagen steht unten, in der Nähe des vierten Loches. Ich hab gesagt, ich muß schon früh ausdem Haus, um ein paar Arbeiten zu erledigen, die ich gestern mitgebracht, aber noch nicht erledigt habe.«
»Ist schon recht – ich hör sie in der Küche.« Für derlei geflüsterte praktische Fragen taten es Worte.
Weg war sie.
Sie war nicht länger als eine halbe Stunde bei ihm gewesen. Es erinnerte ihn auf eigentümliche Weise an ihren ersten Besuch. Die Wiederholung machte den Unterschied deutlich: Ein Ritual, bei dem man einmal ahnungslos mitgemacht hatte, ohne auch nur im entferntesten zu wissen, was es in Wahrheit einmal bedeuten würde.
Er ging zu Fuß in die Stadt, weil er die perfekte Harmonie und Balance seines Körpers auskosten wollte. Als er in die bergab führende lange Hauptstraße unter den wunderbaren Bäumen einbog, wurde in ihm all das wieder lebendig, was ihn mit Freude erfüllt hatte; der Wechsel von Licht und Schatten auf seinen Fahrten in Wiltshire oder, Jahre davor, in Moshi, in Tanganjika, der langsame Flossenschlag im Bett des Sees letzte Woche – all das – jedes winzige Detail, das einen frischen Abdruck wie in Lehm hinterließ – verschmolz im bewußten Erlebnis dieser Straße, dieses Ortes, zu einem Ganzen. Alles war unvermittelt und auf der Ebene eines konkreten Zustandes verifizierbar. Die präzise Würze der Trockenheit, wenn mehrere Monate lang kein Tropfen Wasser in den Staub gefallen war; das Schellen der Fahrradglocken, das in seinem Rücken die Luft zerzupfte; die Kinder, die nichts am Leib hatten außer Unterhemden
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