Der Ehrengast
vielleicht aufgrund ihres Schweigens?) der unregelmäßigen Postsendungen erhielt Rebecca einen Brief von ihrem Mann. Er hatte seine Meinung darüber, ob die Kinder ins Internat gesteckt werden sollten oder nicht, offenbar geändert und sie in einer Schule in Südafrika einschreiben lassen.
»Ist er dort gerade?«
»Geschrieben hat er aus Windhoek, die Schule ist aber in Johannesburg.«
»Und der Kleine?« sagte Bray. Der mit dem Gesicht des Vaters; für die Schule zweifellos noch zu klein – erst fünf.
»Er wird bei Gordons Schwester bleiben. Eine Zeitlang. So stellt er sich das mehr oder weniger vor. Sie hat Zwillinge in seinem Alter. – Dann kriegt ihn Gordon ab und zu zu sehen.«
Er sagte zu ihr: »Wollte er denn nicht, daß du auch kommst?«
Sie hatte eine schüchterne, trotzige Art, eine Gefahr zu vertuschen, die überstanden war. »Ja, er wollte, daß wir alle von hier wegziehen – aber ich hab ihm erklärt, ich könne unmöglich einen Vertrag brechen, und dazu kommt auch noch das Geld – und obendrein das Geld vom Haus. Ich kann das alles einfachnicht von einer Minute zur anderen stehen- und liegenlassen …«
»Was für ein Haus?«
»Das Haus in Kenia – als wir heirateten, hat uns mein Vater ein Haus gebaut. Wir haben es letztes Jahr verkauft, und es ist uns gelungen, das Geld herauszuschaffen und hierherzubringen. Aber von hier kann man derzeit kein Geld nach Südafrika transferieren.«
»O mein Gott.« Er sah sie schon in Johannesburg stranden, und Gordon Edwards, weit weg, im Busch von Moçambique, sorgte indessen dafür, daß er Eis für seinen Whisky bekam; und er selbst unerreichbar. Es war eine jener Zukunftsvisionen des Elends und Verlassenseins, die man als Kind beim Anblick eines auf der Straße schlafenden Bettlers hat.
»Was sagt er?«
»Was mich betrifft?« Ihre Stimme klang zögernd. »Aber ich hab’s ihm
gesagt
. Ich könne unmöglich kommen. Ich müsse bis zum Auslaufen meines Vertrages hierbleiben. Zumindest kann ich nicht weg, bevor Aleke nicht jemand anders gefunden hat.«
Ihr Kinn war entschlossen, aber ihre Augen, die er mit seinem Blick festhielt, waren ihm ausgeliefert – wie Hände, die angesichts eines Pistolenlaufs schweigend in die Höhe gehen.
Sie besprachen weiter die praktische Seite der Abreise der Kinder.
In dieser Nacht begann sie, noch während sie sich liebten, zu weinen. Er hatte sie noch nie weinen sehen. Die Tränen, wie sein Same herausströmend, tröpfelten in ihr Haar und in die Vertiefung am Ende seines Halses. Er tastete mit der Hand, um sich zu vergewissern, und als er seine Finger wegnahm, waren sie naß wie von einer Wunde, die er nicht gespürt hatte. Sie begrub nicht ihren Kopf, versteckte nicht ihr Gesicht; sie lag in seinem Arm auf dem Rücken. Er dachte an den kleinen Jungen und sagte: »Ich weiß, ich weiß.« Er wischte sich die Tränen am Körper ab. Weil sie nicht zu den Frauen gehörte, die weinten, wurde sie einen Augenblick lang genau wie jene, die er gekannt und die esgetan hatten, und er hatte nichts zu bieten, außer den üblichen Tröstungen – er küßte ihre Augen und ließ seine Zunge über ihre Lider gleiten. Sie sagte: »Er ist so selbständig, aber trotzdem … klein, nicht wahr?«
Er brachte ihr ein Aspirin und ein Glas Wasser, und sie schlief ein und schnarchte ein wenig, weil sie geweint hatte. Er wurde innerlich in Stücke gerissen. Sie würde mit ihren Kindern gehen. Er würde es ihr befehlen. Er hielt sie, und die Strömung ihres Körpers trug ihn, als hätte sich nichts verändert, schließlich in den Schlaf.
In der Früh verschliefen sie, und es war unmöglich, jetzt ein Gespräch anzufangen. Am Abend würde sie nicht zu ihm kommen können; Nongwaye war draußen im Busch, und Edna hatte Nachtdienst, also mußte sie bei den Kindern schlafen. Er ging zum Abendessen hinüber, aber wieder bot sich keine Gelegenheit – es war Freitag, und die Kinder durften ausnahmsweise länger aufbleiben. Er und das Mädchen spielten mit ihnen »Reise nach Jerusalem«. Sie war voller Späße und glücklich, und als die Kinder zu Bett gegangen waren, war nicht der Zeitpunkt, sie wieder traurig zu machen. Sie war glücklich, weil Ednas Mutter kommen würde, um am Tag darauf nach der Familie zu sehen, und er hatte versprochen, mit ihr allein an den See zu fahren. Mit jedem Tag wurde es noch schwieriger, das zu sagen, was er zu sagen hatte. Bei jeder Fahrt an den See erlebten sie aufs neue, was sie beim ersten Mal, als nur sie
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