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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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beide dort gewesen waren, erlebt hatten. Sie fuhren zur Insel – sie nahmen jetzt immer die Tauchausrüstung mit –, und sie fing ihren ersten Fisch. Es war Frühling; die Hitze, die sich zwei Monate vor der Regenzeit aufbaute, setzte schon ein, und er mußte den Einbaum an Land ziehen und ihn an den Felsen so ausbalancieren, daß er einen Schatten warf – der Baobab hatte noch keine Blätter ausgetrieben. Dennoch war der Hitzestau um ein Uhr mittags umwerfend. In ihre Schattendeckung zurückgezogen, sprachen sie in einer angeregt vertraulichen Stimmung, die sich bei ihnen immer einstellte, wenn sie am See waren. Einmal sagte sie: »…und als es mir hundeelend ging, weißt du. Es war in Wirklichkeit, daß es mir im Grunde kaum etwas ausmacht. Schrecklich, nicht wahr. Ich freu mich auf dich, und ich … sie nicht in der Nähe zu haben, bloß … Das Problem ist, daß ich bei der Vorstellung, daß wir beide allein hier zurückbleiben, vor Freude bersten könnte –«, und einen Augenblick lang begriff er nicht ganz, was sie sagen wollte – er selbst hatte, inmitten der Vertrautheit und den Freuden dieses Tages, vergessen, was es war, das er sagen mußte.
    Und so blieb es ungesagt; es war unnötig.
    Die Kinder verließen Gala im Auto des Ärzte-Ehepaars, das von den Vereinten Nationen leihweise als Berater für den staatlichen Gesundheitsdienst zur Verfügung gestellt worden war. Es waren alte Freunde Rebeccas, noch aus ihrer Zeit in dem oder jenem afrikanischen Staat, die nach einer Reise zu den Kommunen am See in die Hauptstadt zurückkehrten. In der Hauptstadt sollte Vivien die Kinder der Obhut eines ihrer Freunde übergeben, der denselben Flug nach Johannesburg gebucht hatte.
    Während der letzten Tage vor der Abreise der Kinder war Rebecca manchmal traurig – diesmal vielleicht tatsächlich, weil sie sich von ihnen trennen mußte. Wegen der Bedeutung, die die Kinder der Aussicht, zu ihrem Vater zu fliegen, zumaßen, waren sie zu aufgeregt, um viel Gefühl übrig zu haben – und dann und wann, wenn sie alle zugleich über Johannesburg zu brabbeln anfingen und darüber, was »wir« dort tun würden, wurde das Gesicht des einen oder anderen einen Augenblick lang ausdruckslos, und es fiel die Bemerkung: »Unsinn, Mummy wird ja noch gar nicht dasein.« Sie schienen zu glauben – oder hatte sie es ihnen etwa erzählt? –, daß sie bald nachkommen werde. Vielleicht stimmte es auch, und sie hatte es bloß ihm nicht erzählt.
    Edna Tlume saß schluchzend im Volkswagen, nachdem die Kinder abgefahren waren; sie hatte sich dorthin zurückgezogen, um allein zu sein, und mußte herausgeholt und getröstet werden. Ihre Uniform war zerknautscht, so als wäre sie verletzt worden, und die Tinte der beiden Kugelschreiber, die sie gemeinsam mit einer Schere in ihrer sauberen Krankenschwesterntasche aufbewahrte,war ausgelaufen und hatte einen Fleck hinterlassen. Sie sagte zu Bray, als Rebecca eine Zitrone für den Tee holte: »Sagen Sie’s ihr nicht – ich würde meine Kinder niemals allein lassen, niemals. Sagen Sie’s ihr nicht.«
    Jetzt war es nicht mehr nötig, daß sie sich aus dem Haus schlich, um vor Tagesanbruch zurück in ihren Zimmern bei den Tlumes zu sein. Nach Ankunft der Kinder rief Gordon aus Johannesburg an; der Anruf kam per Radiotelefon, der Empfang war sehr schlecht, reichte aber aus, um zu verstehen, daß alles in Ordnung war.
    Später saßen sie unter dem Feigenbaum, sie hatte die Sandalen abgestreift und die Füße hochgelegt, weil sie von der Hitze angeschwollen waren. »Er hat gesagt, ich soll alle von ihm grüßen – die Tlumes und dich.«
    Er sagte: »Er bat mich, dafür zu sorgen, daß du und die Kinder rechtzeitig aus dem Land kommt – sobald ich es für notwendig hielt.«
    Sie war müde. »Oh? Na, jetzt wird das nicht mehr nötig sein.« Sie streckte ihre Hand nach der seinen aus, und ihre Hände hingen, lose ineinandergehakt, zwischen den beiden Stühlen.

TEIL VIER

 
     
    DAS LUXURAMA CINEMA war im Besitz von Ebrahim und Said Joshi, der zweiten Generation einer Familie indischer Händler, die noch vor der Eisenbahn in die Hauptstadt gekommen waren. Für gewöhnlich hielt sich vor allen Vorstellungen einer der Joshi-Brüder im Foyer auf, um dafür zu sorgen, daß sich die arbeitslosen schwarzen Jugendlichen nicht hineindrängten, ohne bezahlt zu haben, aber am Eröffnungstag des PIP -Kongresses war keiner der beiden zu sehen, und die riesige Fläche des rot-grün ausgelegten Mosaikbodens

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