Der Ehrengast
war bald in Blöcke aus Füßen in Sandalen und solchen in glänzenden Schuhen unterteilt, in Figurengruppen, die Togen hinter sich herzogen, und solche, die Mweta-Tuniken, dunkle Anzüge oder sogar Anzüge mit einem metallischen Schimmer trugen, und das Gewirr intensiv diskutierender Stimmen dort, wo sonst apathisch die Menschenschlangen auf Kinokarten warteten, verlieh dem Ort etwas von der Atmosphäre einer gewalttätigen Besetzung. In Zieraquarien leuchteten Fische auf (die Joshis nannten ihr Kino »das luxuriöseste in ganz Zentralafrika«), glitten am Glas entlang und schnappten wie das Spielzeug eines besiegten Volkes, das in Panik zurückgelassen worden war, schweigend nach den Perlenschnüren aus Sauerstoff. Der Apparat fürs Popcorn funktionierte nicht; die Eisbar war von einem Komitee von Parteimüttern übernommen worden, das auch Teemaschinen gemietet hatte.
Auf der Straße draußen sangen in voller Lautstärke Frauenorganisationen in diversen Pseudouniformen – wobei das Uniformartige ihrer Kleidung aus der Kombination der rot-schwarzen Parteifarben bestand. Eine Gruppe von Jungpionieren verfügte über eine Band, die auf großen Teedosen spielte. Ab und zu stürzte eine Woge solcher Feiernden, Parteislogans schreiend und Flaggen und Banner über den Köpfen der Leute schwenkend, in das Foyer, machte es den in Gruppen beisammenstehenden Abgeordnetenunmöglich, sich akustisch verständlich zu machen, und hinderte den treppauf, treppab eilenden Menschenstrom daran, ins Hochparterre zu kommen, wo sich das Sekretariat des Organisationskomitees befand, das für die Tagesordnung zuständig war. Wie Periskope fuhren aus dem Gewühl die Kameras der Presse hoch; Blitzlichtbirnen explodierten und fingen in jähem Wetterleuchten Gesichter ein. Eine Gegenwoge – mehr der Ungeduld als der Anstrengung der Parteiordner – spülte die Sänger und Rufer in einem Strudel zurück auf die Straße, unter die Kinder, die dreirädrigen Eiswagen und die Motorräder der Polizei.
Die Oktoberhitze – die weißen Siedler pflegten diesen Monat den Selbstmördermonat zu nennen – hielt draußen alles unter einem Belagerungszustand, das Luxurama hingegen war klimatisiert; in diesem nach Rauch und Kaugummi riechenden Kühlschrank hörte Bray jedes einzelne Wort fallen, plötzlich frei vom Lärm und der dickköpfigen Luftfeuchtigkeit. Mweta, der hereingekommen war, um seine Begrüßungsansprache zu halten, paßte sich der zuversichtlichen Stimmung an, die Bray überall um sich herum spürte, in den flinken Augen, die sich weiß von den schwarzen Gesichtern abhoben, in der angespannten Körperhaltung von Leuten, die ihre vom Schatten gegensätzlicher Standpunkte noch verschonten, vorbereiteten Reden ebenso parat hatten wie die Siege, die sie mit nach Hause bringen wollten. Und auch Shinza war irgendwo da oben auf der Bühne unter den Vorstandsmitgliedern und dem Zentralkomitee; allmählich löste sich das Gesicht aus seiner Umgebung; der Bart, die Art, lässig aufzusehen, nicht ins Auditorium hinaus, sondern zur Seite geneigt, so als würden dem hingehaltenen Ohr unsichtbar für die anderen irgendwelche Geheimnisse anvertraut. Da war er.
Mwetas Tunika war eine Abwandlung des kleingemusterten Schals, den er um seinen Hals trug; aus der Entfernung und unter dem Scheinwerferlicht der Bühne sah sie wie ein undeutlicher roter Fleck aus und machte einem unter all den anderen Gesichtern sein Gesicht auch dann bewußt, wenn man ihn nicht direkt ansah. Seine Haut glänzte; er sah gut und gesund aus. In seinerwarmen, herzlichen Art sprach er zuerst über die Instabilität des Regierungsapparates, den man erst seit nicht ganz einem Jahr in Händen habe, nachdem mit der Repatriierung des Beamtenstabes der Kolonialverwaltung der bereits chronische Mangel an Arbeitskräften noch schärfer geworden war. Die ausgebildeten Arbeitskräfte des Landes seien immer zum größten Teil von Ausländern gestellt worden, weil es die Kolonialmacht »für unnötig erachtet hatte«, die Fähigkeiten der heimischen Bevölkerung zu entwickeln – das sei die wohlbekannte Politik des Kolonialismus. »Wir wurden vom weißen Mann nicht auf die Unabhängigkeit ›vorbereitet‹, und als wir für sie kämpften und schließlich siegten, nahmen wir unser Land in unsere bloßen Hände.« Vom allerersten Tag an habe man der Tatsache ins Auge gesehen, daß ein Großteil der Verwaltungs- und Facharbeit weiterhin von Ausländern erledigt werden mußte – mit dem
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