Der Ehrengast
möchten. Sie möchten. Die Konjugation menschlichen Wollens. Aus diesem Grund waren einige der Köpfe in seiner Umgebung in ihrem Inneren von einer privaten Szene erleuchtet, in der dieses Gesicht jenes verdrängte und dieser Name von jenem den vorangestellten Amtstitel übernahm. Irgendwo auf der Tagesordnung stand, daß über einen Feldzug entschieden werden sollte; er konnte sich schon im voraus einiges vorstellen – er mußte sich die Sache näher ansehen, bevor die Sitzungen noch richtig anfingen. Schon jetzt,während man noch andere Formalitäten der Vorgangsweise aus dem Weg räumte, wurde Mwetas Begrüßungsansprache in diese und jene Erinnerung hineingesiebt – als Münze eingeworfen, kategorisiert, wurden ihre Intentionen herausgefiltert und das Drumherum an Worten verworfen. Was Shinza wohl daraus machte? Ein stark gebauter Mann neben Shinza verdeckte die ganze Zeit den Blick auf ihn.
Zu Beginn der Mittagspause hielt sich Bray in der Nähe eines der Aquarien auf; sein weißes Gesicht war ohnehin unübersehbar. Die Delegierten legten die Fröhlichkeit von Schuljungen an den Tag, die hinausgelassen worden waren, bevor die Arbeit überhaupt noch angefangen hatte; nicht einer, den nicht der Foyertratsch festgehalten hätte. Mehrere alte PIP -Mitstreiter kamen zu ihm, um ihn zu begrüßen – Albert Konoko, früher Schatzmeister (kein ganz ehrlicher, aber er war vor langem seines Postens enthoben worden, und die frühen »Unregelmäßigkeiten« waren vergeben und vergessen), der alte Reverend Kawira aus dem Bezirk Ravanga mit seinem Stock und der Aktenmappe mit Eselsohren, Joshua Ntshali, der Bürgermeister von Gala – »Wir hätten uns absprechen und gemeinsam herunterfahren sollen – warum haben Sie mich denn nicht angerufen? Reichlich Platz in meinem Wagen – kaltes Bier obendrein!« –, die wenigen Inder, die von dem kleinen Grüppchen, das die PIP von Anfang an unterstützt hatte, auf Delegiertenebene überlebt hatten. Leute warfen Zigarettenkippen ins Aquarium, und mit seiner zusammengerollten Tagesordnung holte er eine, an der ein Fisch zu knabbern begann, heraus. »Die armen Fische.« Shinza stand neben ihm. Shinza hatte ein Talent dafür, aus der Geistesabwesenheit anderer Leute Witze zu machen. »Kennst du Basil? Basil Nwanga.« Bei ihm war der schwere junge Mann mit den winzigen Nilpferdohren, der Bray damals vor dem Parlament beinahe umgefahren hätte. Sie erkannten einander und grinsten. »Ich hab ihm vor nicht allzulanger Zeit bei einer Zwischenfrage im Parlament zugehört.« Nach ein paar Augenblicken empfahl sich Nwanga wieder ganz in der Art eines Menschen, der nur vorgestellt werden will undweiß, daß er dann nicht länger stören darf. »Gehst du essen?« fragte Bray.
»Wo wohnst du?« sagte Shinza überlegend.
»Bei Dando.«
»Oh. Die Straße runter ist ein Café. Das in der Nähe vom Postamt. Bis gleich.«
Als Bray ging, kam Dando auf gleiche Höhe, ließ aber zwischen sich und ihm einen Abstand von zwei, drei Leuten. Als Weiße hatten sie das stillschweigende Gefühl, es sehe nicht gut aus, wenn sie ständig beisammensteckten; ein Gefühl, das – unterhalb jeder gesellschaftlichen Bedeutung – auf der privaten Ahnung beruhte, daß sie sich in ihren Positionen – obwohl sie alte Freunde waren – weit voneinander entfernt hatten. Roly sagte: »Gefällt’s dir?« Der düstere Ausdruck ließ sein Gesicht schmal erscheinen. Er hatte sich so sehr verändert; der sexuell draufgängerische, adrette Dando von vor zehn Jahren existierte in Wahrheit nur noch in der Erinnerung: Das hier war das gealterte Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren, das vollständig umgeformt worden war – von Enttäuschungen, von Sehnsüchten und Verdauungsstörungen, die für einen Weißen charakteristischer sind als seine Haut. Kein Schwarzer veränderte sich jemals so stark.
Die von Griechen geführten Lokale waren immer Cafés genannt worden, obwohl sie mit der europäischen Institution dieses Namens nur äußerst wenig gemeinsam hatten. Das Café in der Nähe des Postamts verkaufte die üblichen Fish-and-Chips auf der Straße – ein Relikt aus jenen Tagen, da Schwarze nicht an den Tischen hatten sitzen dürfen – und hatte noch immer das Standardgericht der weißen Siedler auf der Speisekarte: Eier, Steak und Pommes frites. Shinza saß bereits da und trank ein Glas mit irgendeiner hellen synthetischen Flüssigkeit, die unermüdlich in den Glasbehältern auf der Theke rotierte. Er hob einen
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