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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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sie trotz ihrer schmutzigen Gewohnheiten, die ihrer Senilität zuzuschreiben waren, nicht, nahm aber auch keine Notiz von ihr.
    Shinza befand sich in jenem Gemütszustand, der sich bei ihm immer am Vorabend von Wahlen eingestellt hatte, als die PIP erstmals den Siedlern ihre Sitze streitig zu machen begann. Er machte auf eigene Kosten abfällige Witze, eher verspielt als selbstbewußt. Eher ein David als ein Goliath. Der Mann, den man als Linus Ogoto vorgestellt hatte, ging Punkt für Punkt den Antrag durch, den er am Tag darauf einbringen wollte und der die überhöhten Gehälter der Regierungsbeamten anging. Er war ein kräftiger Mann, dessen Gesicht und Kopf zerfurcht waren – selbst die Linien auf dem fleischigen, kahlrasierten Schädel wirkten wie abgesteppt, so daß sich die Intensität eines Ausdruckswechsels nicht allein auf das Gesicht beschränkte, sondern über den ganzen Kopf lief. Er hielt Bray in fließendem Englisch mit hartem Akzent einen Vortrag. »Wissen Sie, wie hoch sich die geschätzte Summe beläuft? Siebenundvierzig Prozent des Budgets. Minister- und Generaldirektoren-Attrappen wie Joshua Ntshali …« »Vorsicht, Ntshali ist einer von James’ Nachbarn«, warf Shinza ein. »… sie bekommen drei- bis zehntausend im Jahr. – Unsere Hilfsarbeiter verdienen zwischen dreißig und zweiundsiebzig Pfund. – Einen Augenblick, ich bin noch nicht fertig. Ich hab noch ein paar andere Zahlen. Kostenlose Wohnung, Kraftfahrzeugpauschale in der Höhe von fünfundsiebzig Pfund, Kilometergeld für Dienstfahrten an jedem beliebigen Wochentag von einem Shilling pro Meile extra, verbilligtes Benzin an den Tankstellen des Ministeriums für öffentliche Arbeiten. Und höhere Verwaltungsbeamte und Beamte, die in öffentlichen Körperschaften tätig sind, kommen in den Genuß von ähnlichen Privilegien.«
    Cyrus Goma und Nwanga waren beide Parlamentsabgeordnete, die gut verdienten und selbst gewisse Privilegien genossen;sie waren freilich keine Kabinettsminister. Sie schienen davon auszugehen, daß sie Kürzungen ihrer eigenen Gehälter selbstverständlich in Kauf nehmen würden; das würde zweifellos nicht unbeachtet bleiben, wenn sie beim einfachen Volk auf Stimmenfang gingen. »Ich hab die Höhe des Durchschnittsverdienstes der Kongreß-Delegierten da. Dreiundsiebzig Prozent verdienen weniger als sechshundert pro Jahr, und von diesen dreiundsiebzig Prozent verdienen wiederum beinahe drei Viertel zwischen dreißig und hundert pro Jahr. Das ist alles.«
    »Das ist in Bargeld, versteht sich? Was sie zu Hause ernten und so weiter ist da nicht inbegriffen, hm?« Unter der Leichtigkeit, mit der Shinza das hingeworfen hatte, war er wachsam auf Ausschau nach Löchern, in der die Opposition herumstochern würde.
    »Bargeld. Die Erträge, die einem Kabinettsminister sein Garten auf dem Land draußen abwirft, werden ihm ja auch nicht aufgerechnet.«
    Shinza nickte rasch, befriedigt.
    Nwanga sagte zu Bray: »Die Dondo- und Tananze-Leute werden das mit ganzer Kraft unterstützen. Sie möchten, daß sämtliche Gehälter über sechshundert pro Jahr eingefroren werden.«
    »Nun. Beinahe jeder in diesem Saal verdient weniger als sechshundert. Da sollten sie sich eigentlich nicht weigern, dafür zu stimmen.« Ogoto schaute drein, als wollte er sie alle durch seine Blicke aus der Fassung bringen.
    »Das war ein Haufen Detektivarbeit«, sagte Shinza nebenbei. »Wie hast du das denn gemacht?« – er meinte die Gehaltsziffern für die Delegierten.
    »Ich war monatelang dahinter her, Mann. Die Leute beantworten keine Briefe, verstehst du – man muß ständig am Ball bleiben. Hat mich ’ne Menge Porto gekostet.«
    Ogoto lachte plötzlich, verlegen, und seine Ohren brachten Bewegung in seine Kopfhaut. Sobald er allerdings seine Verlegenheit über das Lob überwunden hatte, stieg es ihm eher zu Kopf; vor lauter Freude konnte er nicht aufhören, von den Schwierigkeitenzu reden, die er zu bewältigen gehabt hatte. Eine Anekdote folgte der anderen; alle lachten – außer den Kartenspielern und dem Schuljungen, die sich in ihre Konzentration eingruben, und der alten Frau.
    Bray unterhielt sich mit Cyrus Goma über einen Antrag, der die Landarbeiter betraf. Es war ihm aufgefallen, daß er vom Parteipräsidium der südlichen Provinz eingebracht wurde – Goma war Abgeordneter der östlichen –, trotzdem wußte er über die einzelnen Punkte genau Bescheid. »Das Grundkonzept ist, daß die Landarbeiter als Arbeitnehmergruppe innerhalb

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