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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Ohne Pause fuhr er geschäftsmäßig fort: »Du triffst dich nochimmer mit Somshetsi und den anderen. Hab ich recht, du machst ein Tauschgeschäft mit ihnen: Sie helfen dir mit Männern und Waffen aus, und du hast ihnen dafür versprochen, daß sie nachher eine Basis bekommen.«
    »So ungefähr. Es muß nicht allzuviel – deswegen braucht nicht zuviel …« Shinza rang um Worte, dann sprudelte er plötzlich hervor: »Kein viel größerer Schaden als der, den er anrichten wird, wenn er seine Konzernguerillas auf die Arbeiter losläßt. Es braucht nicht – wenn der Zeitpunkt stimmt.«
    »Ihr werdet versuchen, dafür zu sorgen, daß der Zeitpunkt stimmt.«
    Nwangas Gegenwart wurde allmählich wieder akzeptiert. Shinza schwieg, während der junge Mann, der Bray anblickte, gewichtig mit dem Kopf nickte.
    »Wenn ich nachts mal durch Gala komm und dich treffen möchte, ist das in Ordnung – du bist allein in deinem Haus, oder?« bemerkte Shinza.
    »Ich bin nicht allein.«
    Shinza sagte: »Oh, dann schick ich dir eine Nachricht, okay? Komm, sehen wir, daß wir weiterkommen – ich möchte dich zu diesem Burschen bringen, zu Phiti. Verschwand, nachdem man die Geschichte mit den Eisenerzminen wieder fallengelassen hatte, war die ganze Zeit in Haft, während diese Schweinehunde von der PIP unbehelligt davongekommen sind. – Das sind Chekwe und unser alter Freund Dando.«
    Die Nase des großen Mannes mit den stark vortretenden Augen war während der Verhöre gebrochen worden. Er war zur gleichen Zeit teilnahmslos und redselig, und das tatsächliche Elend, das er durchgemacht hatte, kam vermischt mit den offensichtlichen Lügen persönlicher Dramatisierung heraus. Zweihundert Männer seien in diesem Gefangenenlager gewesen – dreihundert – fünfhundert. Man habe ihn in Einzelhaft gehalten; zusammen mit fünfzehn, zwanzig anderen sei er in einer Hütte eingesperrt gewesen. Sie seien halb verhungert, hätten sich von den Ratten aus den Zuckerrohrfeldern ernährt, und die Schuhehabe man ihnen abgenommen. »Warum die Schuhe?« sagte Shinza angesichts seines erbärmlichen Auftritts vor Bray kalt. »Warum? Warum? – Sieh dir das hier an, sie haben mich mit einem abgebrochenen Stuhlbein geschlagen.« Der Mann befühlte den verbogenen Sattel seiner Nase und blickte in die Runde, um sich zu vergewissern, daß sie angemessen reagierten.
    Wegen Bray hätte Shinza nicht verlegen zu sein brauchen; als Richter hatte er gelernt, daß das Leid nicht jene edle Sache war, vor der diejenigen, die nie damit wirklich konfrontiert gewesen waren, glaubten, es müsse so sein, sondern oft etwas Ekelhaftes, von dem man sich instinktiv abwenden wollte. Der Mann saß in einer von Verwandten überfüllten Hütte, die wie an ein Krankenbett herbeigeeilt waren; und wieder andere hockten draußen im Freien zwischen den Hühnern und Hunden herum – die Greise und die Kinder. Ein winziges Mädchen kroch in einem zerlumpten Kleid, das den Blick auf ihre dicke, kleine Scheide freiließ, ins Vorhaus; jedesmal wenn Phiti seine Nase berührte, ging ihre kleine Hand, zugleich mit der seinen, hinauf und betastete ihr eigenes Gesicht.
    Mitleid war ohnehin eine zu weiche Sache. Zorn entstand aus dem Ekel und war meistens nützlicher.
    Das Lager, in dem man Phiti festgehalten hatte, war Fort Howard; der alte »sichere Ort«, an dem die Kolonialregierung Mweta »unter Arrest gestellt« hatte. Shinza behielt Bray ständig im Auge, immer darauf bedacht, ihm bei seinen Überlegungen einen Schritt voraus zu sein. Er sagte dramatisch: »Wir werden diesen Ort umpflügen und etwas darauf anpflanzen. Es darf ihn einfach nicht länger geben.«
     
    Von der Paßhöhe zu den Bashi Flats hinunter blies ein ungeheurer Staubsturm um die Ranch von Boxer. Federn, Blätter, Maisstroh, Asche und Unrat von den Feuern der Leute tanzten im Wirbel der Windhosen, die wie zusammenbrechende Säulen bis hinauf in den Himmel schwankten. Der Wind war heiß. Anstelle der Sonne ging hinter dem Dunst eine apokalyptische roteIntensität unter; die Menschen schnüffelten in den Sturmböen nach Regen, obwohl der vielleicht noch Wochen nicht kommen würde. Sie saßen eng aneinandergedrängt in ihren Hütten. Bray blieb schließlich doch über Nacht, schlief nackt in einem stickigen Raum, der gegen den Wind verrammelt war, gemeinsam mit Shinza, Nwanga und dem Schullehrer. Ebensogut hätte er durch die Nacht nach Hause fahren können, aber er empfand einen sonderbaren Widerwillen dagegen, aus der

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