Der Ehrengast
es hat dich auch keiner besonders eifrig gesucht. Ich hab das Gefühl, das wird sich jetzt alles ändern. Sobald du dich rührst, wirst du verhaftet.«
Shinza blickte lächelnd zur Decke: »Weil er es jetzt niemandem mehr erklären muß?«
Ein kleiner Junge kam barfüßig mit dem Bier über die Veranda geschlittert und blieb japsend, zu Tode verschüchtert, in der Tür stehen. Shinza stand auf und nahm ihm den Plastikbehälter ab, der einmal Spülmittel für Boxers Geschirr enthalten hatte. Er gab ihm eine Münze und neckte ihn damit, daß seine staubigen, kleinen Arme so stark seien. »Warum ist er nicht in der Schule, James? Weißt du, daß in der Schule kein Platz für ihn ist? Schreib das in deinen Bericht.«
»Steht alles drin, keine Sorge.«
»Dein letztes Wort?« sagte Shinza.
»Möglich.«
»Ich mein zu diesem Problem – damit wird alles gesagt sein.« Shinza schenkte das Bier aus. »Welches war deins, Basil?«
»Danke, für mich nicht – ich weiß nicht, mit meinem Bauch ist heute irgendwas nicht in Ordnung …«
»Na, komm schon. Das da ist gutes Zeug!«
Shinza füllte Brays Glas. »Man braucht natürlich Geld, wenn man weitermachen will. Ich nehm allerdings nicht an, daß einer meiner alten Freunde bei der ILO da was unternehmen kann …? Ich muß sehen, was ich auftreiben kann. Goma möchte eine Zeitung machen … wir brauchen ein paar Autos … das alles braucht Geld.«
»Woher ist es bisher gekommen?« sagte Bray.
Shinza war sehr darauf bedacht, offen zu sein. »Wir haben uns sehr auf meinen Schwiegerpapa gestützt, Mpana. Aber das ist gar nichts. Diese alte Karre von ihm kann man ebensogut abschreiben, was, Basil?«
»Braucht zunächst mal einen neuen Motor.«
»Hängt davon ab, wie weit du gehen willst«, sagte Bray.
»›Offen‹ – wirst du nicht weit kommen.«
»Du hast gehört, was ich gesagt hab.« Shinza meinte beim Kongreß. »So weit möchte ich kommen. Sehen, daß dies Land unserem Volk zurückgegeben wird. Du kennst mich. Ich hab nie was anderes gewollt. Ja, ich glaub, ich weiß, was gut für uns ist« – seine Finger klopften ärgerlich eine Antwort aus dem eigenen Brustbein – »genau wie er beschlossen hat, was für ›sie‹ gut genug ist. Das ist der große Unterschied zwischen ihm und mir. Ich hoffe, ich verfaule in der Erde, bevor ich dorthin komme, womit er sich zufriedengibt. Verfaule in der Erde. Nur war ich ein solcher Arsch, mir die ganzen Jahre hindurch einzubilden, wir hätten ihm beigebracht, was Unabhängigkeit bedeutet – ja, ein solcher Arsch.« Nwanga saß totenstill da. Bray sah mit Erstaunen die glänzenden Tränen in Shinzas Augen. Sie ließen ihnnicht los. »Wenn es mit diesem gottverdammten Land so weit kommt, daß es dem Konzern gehört, samt den Kabinettsministern, den Schwarzen, die in den Aufsichtsräten der Weißen sitzen, nach all den Jahren, in denen wir Maniok gegessen und unsere Ärsche hingehalten und gebeten und gebettelt haben und uns die Köpfe haben blutig schlagen lassen und unsere Zeit hinter Gittern abgesessen haben« – seine Stimme überschlug sich, Speichel flog von seinen Zähnen – »dann geb ich mir die Schuld dafür – ich mir selbst. Und dir, Bray. Ich geb dir die Schuld, und da kommst du nie raus, niemals! Solang ich am Leben bin, wirst du das wissen, mir egal, ob du in England sitzt oder am Ende der Welt, mir egal, daß du weiß bist. Solang ich am Leben bin!«
Für einen Augenblick war der Raum ein Vakuum. Kinder mußten draußen am Wagen von Häuptling Mpana gespielt haben; die Hupe ertönte, gefolgt von einem schockierten Schweigen. Shinza ging steifbeinig hinaus. Man hörte, wie er die Kinder davonjagte. Er kam wieder herein mit seinem Gang eines kampfgewohnten Katers.
Shinza blickte ihn an und knöpfte dabei langsam sein Hemd zu.
Er sagte: »Shinza, was würdest du mit ihm machen?« Beide empfanden sie gleich stark, daß Nwanga in ihrer Gegenwart nichts zu suchen hatte; der riesige Nwanga, gefangen in dieser Strömung, war nicht fähig wegzugehen.
»Aber umbringen könnte ich ihn nicht«, sagte Shinza.
»Du wirst ihn jahrelang irgendwo hinter Schloß und Riegel halten oder ihn an irgendein Land weiterreichen, damit er sein Leben mit Plänen verschwenden kann, wie er euch am besten aus dem Sattel hebt.«
»… oh, weiß Gott.«
»Aber die anderen um ihn herum – die würden verschwinden müssen?«
»Die müßte man selbstverständlich einsperren.«
Ein Gefühl von Distanz kam wie eine Ohnmacht über ihn.
Weitere Kostenlose Bücher