Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
Masern … Die Masern bringen Leute um, die dem Virus noch nie ausgesetzt gewesen sind …«
    Der alte Feigenbaum im Freien draußen stand in seiner faltigen,staubbedeckten Haut unbeweglich da wie die Ewigkeit. Die mittäglich friedliche Hitze, um die sich der Garten unter ihm schloß, war unerreichbare Gleichgültigkeit: Bray stand einen Augenblick lang fassungslos da – das Stöhnen, die Schreie und die verzweifelte Schlägerei, die gelben Eingeweide der zertrampelten Hühner und das blutig aufgerissene Gesicht des Bergmannes bedrängten ihn in einem Tagtraum. Gleichsam witternd, spürten alle seine Sinne drüben, jenseits der Bäume, ahnungsvoll einen undefinierbaren Aufruhr. Der Lärm im Township war zu weit entfernt, als daß man ihn genau hätte zuordnen können. Da war nur das Rauschen einer Meeresmuschel, die man ans Ohr hielt.
    Aleke hupte von der anderen Straßenseite her, und er ging ums Haus, um zu ihm in den Regierungswagen zu steigen.
     
    Im alten Teil des Township war das Leben so dicht, daß die Gewalt verdeckt wurde – in den Lehmhütten, im Geschlinge der Palmen, den Anbauten aus Abfallmaterial, den alten Wagenchassis, Holzstößen, den Pawpawbäumen und Lianen, die aus dem Müll wuchsen, war der Unterschied zwischen Behausung und Ruine aufgehoben, selbst das Netz der Straßen verschwand, und wenn Türen aufgebrochen, Pfosten aus der Erde gerissen und waffenähnliche Gegenstände im Staub lagen, so konnte das ohne weiteres Teil des ständigen Prozesses von Verfall und notdürftiger Wiederherstellung sein, der dieses Gebiet am Leben erhielt. Nur die ausgebrannten Häuser waren Zeugen der Zerstörung, aber sogar eines oder zwei von diesen trugen die Zeichen – ein über einem Winkel übriggebliebenen Mauerwerks befestigtes Blechstück, eine abgestützte Pappkartontür –, daß Bewohner in sie zurückgesickert waren. Das alte Township roch nach der Katastrophe und verbarg alles; kein Mensch weit und breit; nur die Töpfe und Blechdosen, die als Kochgeschirr dienten, hatte man vor den Häusern zurückgelassen, um sich ihrer bei den alltäglichen Verrichtungen wieder zu bedienen, sobald diese Bedrohung des gewohnten Lebensganges – wie jede andere ihnen schon bekannte – wieder vorüber war und sie sich neuerlich anschickten,Feuer zu machen, zu kochen, die Kleider in einer Blechwanne zu waschen. Es verbarg auch ihre Parteizugehörigkeit, ihren plötzlichen Entschluß, die Drohung selbst in die Hand zu nehmen. Bray und Aleke hörten später, daß an jenem Morgen hier unten mehrere Personen bei Straßenschlachten ums Leben gekommen waren, sie selbst aber stießen auf nichts als mürrischen Rückzug und die Gesichter und Hände von Kindern hinter den sackleinenen Lappen vor den Fensterlöchern.
    Das neue Siedlungsviertel in der Nähe des Arbeiterheims besaß solchen Schutz nicht. Die Lebenssäfte waren dort noch zu jung und zu dünn, um Tätlichkeiten Widerstand entgegensetzen zu können. Das Netz war zerrissen. Allein die Tatsache, daß die Fenster Scheiben besaßen, hatte bereits genügt; überall zwischen Ziegeln, verbeulten Fahrrädern, niedergerissenen Imbißbuden und schreienden Menschentrauben lagen Glasscherben – und all das wiederum nackt über dem roten Erdboden der Lichtung, die Bulldozer aus dem Wald gebaggert hatten. In manche Straßen war es unmöglich, hineinzufahren. Sie setzten zurück und fuhren im Zickzack. Menschenknäuel bedeuteten Schlägereien oder einen Verwundeten. Ein Lastwagen der Polizei preschte durch, hinter dem Gitter des Drahtkäfigs brüllende Gesichter; er erfaßte den Schutzhelm eines Bergmanns, der auf dem Boden lag und wie ein abgetrennter Schädel davonkugelte. Eine Gala, deren Kleid zwischen den Brüsten aufgerissen und deren Turban verschwunden war und deren Zöpfchen wie kleine Schlangen, den Blicken preisgegeben, in die Höhe standen, stieß immer wieder gellende Schreie aus.
    Sie folgten den Spuren des Chaos bis zum Arbeiterheim. Eine Meute brüllender Jugendlicher lief auf den Wagen zu, klammerte sich fest und schaukelte ihn. So als wären sie nichts als ein Schwarm fliegender Ameisen, fuhr Aleke weiter, bis sie abfielen. Selufu und ein paar seiner Männer wurden vor dem Arbeiterheim in ihren beiden offenen Lastwagen belagert. Im Kampf zwischen den Streikenden und den Jungpionieren, deren »Stützpunkt« das Arbeiterheim war, wurden Steine und Konservendosen aus denFenstern herausgeworfen. Selufus Leute warfen jetzt Tränengasbomben, aber nicht ins

Weitere Kostenlose Bücher