Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
sich gegen ihn: »Natürlich! Das ist genau der Tag, auf den Sie gewartet haben. Deshalb haben wir Sie uns damals vom Hals geschafft! Sie weißer Schweinehund!«
    Es war ein Schrei, der sich unter all die anderen dieses Nachmittags mischte. Bei Einbruch der Nacht – zwei Wagenladungen Soldaten waren angekommen, die jetzt mit Feuerwaffen durch die Stadt patrouillierten – versammelten sie sich wieder beim Haus, Rebecca, Hjalmar, Nongwaye und er. Er steckte immer noch in seinen verdreckten Hosen; eine eingetrocknete Blutspur an der Lende erinnerte ihn an etwas, das schon vor Tagen passiert sein mochte. Kalimo hatte den ganzen Nachmittag auf die Kinder der Tlumes aufgepaßt, und im Haus herrschte die aufgeheizte und chaotische Atmosphäre einer ganz anderen Art von Aufruhr. Rebecca und Hjalmar teilten miteinander das Hochgefühl, sich nützlich gemacht zu haben; die Körnung der Haut an Kinn und Wangen wirkte unter der glänzenden Lasur aus Schweiß und Selbstaufgabe gröber. Er fragte sie halblaut, vertraulich: »War’s sehr schlimm?«, und sie antwortete, ausdruckslos hauchend: »Nein, nein. Zum Glück hab ich keine von den Toten gesehen.« Er drückte ihre Hand.
    Nongwaye fuhr mit seinen Kindern nach Hause, und plötzlich waren sie in ihrer Erschöpfung vom Schweigen der Nacht umgeben. Sie tranken Bier und hörten im Radio, daß sich der Streik bis zu den Reparaturwerkstätten der Eisenbahn hin ausgeweitet habe und daß in der Hauptstadt Transportarbeiter, Postbeamte und Lehrer ihre Arbeit niedergelegt hätten. Es habe »Meldungen über Unruhen im Bezirk Gala« gegeben, sagte die Stimme mit dem ihr eigenen afrikanischen Akzent, aber der Gleichgültigkeit eines Nachrichtensprechers der BBC . Hjalmar schnitt ein Gesicht und lachte leise.
    Bray ging hinaus in den Garten, um einen Blick auf den Himmel über dem Township zu werfen, aber durch das Fliegengitterder Veranda rief Rebecca: »Aleke!«, und er lief hinein ans Telefon. Das Radio war wegen der Sendung von Kurznachrichten aufgedreht und jagte galoppierende Cancan-Rhythmen durchs Haus. Er bedeckte sein anderes Ohr mit der Hand und hörte Alekes betörende Stimme, die von seinem mächtigen Resonanzkörper vibrierte. Er sagte was von einem Flugzeug – »Welches Flugzeug?« Die reguläre Maschine, die zweimal pro Woche kam, war erst in den nächsten zwei oder drei Tagen fällig.
    »Nun, das Ding vom Landwirtschaftsministerium … verstehen Sie. Agnes wird hinunterfliegen. Zu ihrer Mutter, gemeinsam mit den Kindern. Ich sag mir, warum nicht. Und außerdem ist sie – nun, Sie wissen schon. Und wie steht’s mit Rebecca? Sie könnten sie auch noch hineinquetschen.«
    Er sah sie an, während Aleke sprach.
    Er sagte: »Ich werd’s probieren.«
    »Ist das beste für sie, und wir haben dann die Hände frei«, sagte Aleke mit der für ihn typischen Lässigkeit, die Ausdruck seiner Verstörung war.
    »Wann wäre das denn?«
    »In der Früh. Sagen Sie ihr, sie soll ein paar Kleider in einen Koffer packen und rüberkommen. Sie möchten so ungefähr um sieben wegfliegen.«
    Einen Augenblick lang stand er unter den forschenden Blicken von Rebecca und Hjalmar da. Er stellte das Radio leiser. »Agnes und die Kinder fahren zu ihrer Mutter – sie haben morgen früh eine Mitfahrgelegenheit im Flugzeug des Landwirtschaftsministeriums. Sie möchte, daß du mitkommst, Rebecca …« ihr Name blieb ihm verlegen im Mund stecken und hörte sich an wie der Name einer Person, die keiner der beiden kannte – »du könntest ein paar Tage bei Vivien und Neil bleiben. Ich finde, du mußt fliegen.«
    Ihre Augen, die auf ihm lagen, schienen sich nach innen zu öffnen, um ihn zu zwingen, da hineinzusehen. »Nein.«
    »Bloß für ein paar Tage. Aleke ist einverstanden. Es wäre vernünftig.«
    Wie ein Kind, das die Strafe jemandem anderen anhängen will, sagte sie: »Und Edna?«
    »Edna ist Krankenschwester.« Und klarerweise gehöre Edna hierher, es sei ihr Stück Land, ihre Heimat und ihr Volk, wogegen Agnes und Rebecca – selbst Agnes, ein Mädchen aus der Hauptstadt – sich dafür, was in Gala passierte, nicht zu engagieren brauchten. Und sollte der Fall eintreten, daß Gala vom übrigen Staat abgeschnitten wäre, und angesichts seiner einzigen Verbindungsstraße, einer fehlenden Eisenbahnlinie und der winzigen Fluglandebahn sei das ganz leicht möglich, dann wären die Tlumes bei sich daheim.
    Sie verließ, an den beiden Männern vorbei, den Raum und ging ins Schlafzimmer. Ein sehr reales

Weitere Kostenlose Bücher