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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Vorstellung, daß Sie mit allen anderen Leuten zusammen hier auf dem Marktplatz sind, nicht angenehm, hm?«
    Die Männer begannen sich in einer Art trägem Strudel zu zerstreuen, verwandelten sich in eher müde Einzelgänger als in eine geschlossene Menge. Ein oder zwei kauften sich sogar Maniok zum Kauen; es mußte viele Stunden her sein, daß sie gegessen hatten. Plötzlich vernahm Bray hinter sich ein Surren von Autoreifen, Schreie, und als er sich umdrehte, blickte er direkt in eine Wagenladung von Jungpionieren, die über die Menge hereinbrach. Im Vorbeigehen traf ihn ein wütender Schlag an der Schulter, die alte Frau beugte sich schützend über ihre Zwiebeln und jammerte los – die Jungpioniere mit ihren schwarz-roten Insignien flogen wie Pferde über ein Hindernis an ihm vorbei und prügelten sich ihren Weg zu den Streikenden frei. Sie schlugen mit Knüppeln und Fahrradketten zu. Aleke stand, zusammen mit anderen Streikenden, dreißig Meter weiter wie erstarrt da. Bray rief ihm zu, er solle weitergehen, aber zu spät, die Männer stürmten zurück zu ihren Kollegen. Gemüse purzelte durcheinander, ein Haufen Geflügel mit zusammengebundenen Beinen wurde gerade unter schrecklichem Gezeter zertrampelt, Federn, blutgetränkte, zerrissene Kleider und darunter aufblitzende, nackte Haut. Gewürgt vor Entsetzen sah er Hände nach orangenen und grünen Flaschen greifen, die im Getränkestand aufgereiht waren, die farbige Flüssigkeit über das zerbrochene Glas herunterfließen und die gezackten Flaschenhälse zwischen Köpfe undArme hineinfahren. Einer der Streikenden stolperte auf ihn zu, das entsetzte Erstaunen über einen Schlag, der sich in eine blutig klaffende, das Gesicht von Stirn bis Kinn spaltende Wunde verwandelte. Überall das Blut von Hühnern und Menschen. Bray kämpfte, um einen Arm, der zusammen mit einem Flaschenhals über dem Kopf eines anderen in die Höhe gefahren war, zurückzuhalten; er verdrehte diesen Arm und hätte ihn nicht loslassen können, selbst wenn er gehört hätte, wie der Knochen brach. Als die Flasche in seine andere Hand fiel, steckte er sie tief in seine Hosentasche, während er gleichzeitig mit einem anderen kämpfte, der ihn von hinten um den Nacken gepackt hatte. Vom
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und von jeder Straßenkreuzung, die zum Stadtzentrum führte, kamen Leute hergelaufen. Während er kämpfte, wurde ihm schmerzhaft bewußt, daß mehr und mehr Leute in die bellende, kämpfende Menge drängten. Er versuchte zu Aleke hinzukommen, ohne eine Ahnung zu haben, wo er war; plötzlich sah er, wie Aleke, der aus dem Ohr blutete, sich zu ihm durchzukämpfen versuchte. Sie sprachen nicht, sondern bahnten sich unter den Schlägen hindurch mühsam einen Weg und rannten hinter der öffentlichen Toilette des Marktes vorbei, quer durch einen Hinterhof aus Lädengruppen auf die Rückseite des
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zu.
    Rebeccas Zähne standen wie bei jemandem, den man aus dem kalten Wasser gezogen hat, wie festgeklemmt zwischen den offenen Lippen. Sie starrte sie bestürzt an. Godfrey Letanka, der ältere Beamte mit seinem sauberen Alpaka-Jackett, schnappte sich das Handtuch neben dem Waschbecken in Alekes Büro und hielt es an das blutende Ohr. »Kommt es von innen?« fragte Bray. »War’s ein Schlag auf den Kopf?« Aleke, dessen mächtiger Brustkorb sich um Luft ringend senkte und hob, schüttelte den Kopf, als hätte er eine Fliege im Ohr. Sie versuchten, das Blut wegzuwischen, um zu sehen, woher es kam; und da bemerkte Bray ein kleines, tiefes Loch, das direkt durch den Knorpel der Ohrmuschel ging: also war es keine Hirnverletzung. Letanka fand irgendwo einen Erste-Hilfe-Koffer, und Rebecca drückte das Ohr fest zwischen zwei Wattebäuschen zusammen, um dieBlutung zu stillen. Aleke war nicht mehr benommen. »Schauen Sie, daß Sie Selufu erwischen, versuchen Sie’s mit dem Telefon, James –« »Die Polizisten sind jetzt dort«, sagte Rebecca. »Ihr habt sie nicht gesehen – sie hielten sich am Rand der Menge, aus Richtung Nairobi-Street sind zwei Jeeps angekommen. Godfrey und ich sahen sie vom Dach aus.« »Vom Dach aus?« »Ja, wir haben festgestellt, daß man auf diese kleine Plattform hinaufkommt, oder was das auch ist, dort wo man die Fahne anbringt.«
    Mit Aleke, der sich einen Wattebausch ans Ohr hielt, eilten sie die leeren Gänge entlang (»Diese verdammten Idioten, die sind alle rausgegangen, um sich die Schädel einschlagen zu lassen«) und kletterten durch ein Fenster auf den verschnörkelten Holzgiebel,

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