Der Ehrengast
Gefühl der Panik erfaßte ihn, so als hätte er etwas getan, das er nicht ungeschehen machen konnte.
Sie stand da zwischen der häßlichen alten Garderobe, an der ihre Kleider hingen, und dem Bett, in dem sie vergangene Nacht miteinander geschlafen hatten. Diese Dinge waren zu den Habseligkeiten eines Fremden geworden; er und sie hätten ebensogut nie hier drin gewesen sein können.
»Wenn es nicht meinetwegen wäre … du verstehst mich doch, Liebling …? Ich habe das Gefühl, ich benehme mich wie ein Verrückter, daß ich mich so an dich klammere.«
»Ich fliege nicht.«
Er ging zu ihr, so als wären sie in einem Hotelzimmer, allein, in einem fremden Zimmer. Er strich ihr über das Haar und hielt sie fest. »Ich stinke. Eigentlich sollte ich dich nicht an mich heranlassen.«
Sie schwieg. Mit dem Nagel ihres Zeigefingers fuhr sie ihm kratzend über das Hemd hinunter. Schließlich sagte sie: »Wie viele Stiche?«
»Ich glaube, vier. Nein, zwei – ich hab die vier Löcher jeweils als Stich gezählt.«
»Hat nicht weh getan? Sie ist gut, was.«
»Da.« Er nahm ihren Finger und zeigte ihr, wo sie die kleinenKnötchen des Plastikfadens durch die Hose hindurch spüren konnte.
Sie bat ihn: »Du rufst Aleke an«, und er nickte. Friedlich gingen sie zurück ins Wohnzimmer, wo Hjalmar gerade eine Lammkeule tranchierte. »Mahlope ist wieder da«, verkündete Kalimo angriffslustig von der Eingangstür her.
ALEKE WAR JETZT oft im Haus; bei ihm daheim war niemand, und ihrer aller Leben war durch die Ungewißheit einer von Stunde zu Stunde sich ändernden Lage miteinander verbunden, in der Kalimo weiterhin mit verbissener Pünktlichkeit und veränderlich wie Auf- und Untergang der Sonne warme Mahlzeiten – zusammengeschrumpft, ausgetrocknet und unverdaulich – zubereitete, die dann zu jeder beliebigen Tageszeit von jedem, der gerade da war, verzehrt wurden. Abgesehen von Kalimo, waren niemandes Funktionen klar umrissen, und persönliche Ziele und Überzeugungen überging man, indem man einfach die nächste Sache in Angriff nahm.
Der gehetzte Selufu verließ sich auf Aleke, und Aleke nahm an, Bray und Sampson Malemba würden für Nahrungsnachschub für die auf dem Messegelände untergebrachten Männer sorgen. Als er und Malemba aber am zweiten Tag mit Fleisch und Porridge, die sie in der Spitalsküche organisiert hatten, und mit Näpfen und Samowars aus den Beständen von Malembas Pfadfinderausrüstung auftauchten (alles, was sie bettelten oder borgen konnten), fanden sie die Männer in der gleißenden Sonnenhitze der Arena, eingekreist von Soldaten und wie Tiere zusammengepfercht. Die Soldaten waren Telafa aus dem Westen und konnten sich mit den Streikenden nicht verständigen. Beim Anblick Brays stiegen Rufe auf: Shinza, Shinza. Malemba drängte die Soldaten, Bray zu den Streikenden hineinzulassen. Er stand völlig unbewegt, aufmerksam angespannt da, um jede Reaktion abzuwehren, die er vielleicht auslösen mochte. Dann wurde er eingelassen; die Männer umringten und bedrängten ihn. Sie wollten nach Hause; sie würden zu Fuß gehen. Aber die Polizei wolle niemanden fort lassen; die Polizei habe mehr als zwanzig von ihnen mitgenommen, und den übrigen sei gesagt worden, sie würden in diesem »Rinderpferch« festgehalten werden.
Er konnte nichts tun als weitermachen und das Essen an sie verteilen. Er und Malemba widmeten sich dieser Beschäftigung, ihr allein. Er wußte, daß Sampson (trotz seiner ungeminderten Empörung wegen der »Hundezwinger«-Geschichte beim Kongreß) nicht an Mweta zweifelte und diesen immer unterstützen würde, egal, wie traurig und ratlos ihn die Dinge, die unter diesem Regime passierten, auch stimmen mochten. Gleichzeitig aber vertraute Sampson
ihm;
also wurde kein Wort darüber verloren, wie man ihm im Namen Shinzas zugejubelt hatte. Es konnte zwischen ihnen zu keiner Diskussion darüber kommen, was sie gerade gesehen hatten. Das Gewicht der Umstände war in der brennenden Hitze, die sich in dem alten Volkswagen gestaut hatte, zum Greifen spürbar.
Er setzte Malemba ab; der Markt war geschlossen, die Läden vor den Geschäften der Inder heruntergelassen, der Supermarkt aber hatte an diesem Morgen seine Tore geöffnet. Ein paar Leute waren da, und wo auch immer sie sich gerade über den Weg liefen – das galt selbst für Frauen mit Körben auf den Köpfen und Säuglingen auf den Rücken –, erregten sie die Aufmerksamkeit der in sich zusammengesunkenen und nun zum Leben
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