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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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einem Dorf, hatte er seltsamerweise den Eindruck gewonnen, Hjalmar verstünde nun seine – Brays – Position während der letzten Wochen in Gala, so als hätte die Erschütterung von Hjalmars eigenem Innersten eine erhöhte, zuckende Aufnahmefähigkeit für die nie ausgesprochene, innere Wirklichkeit, die durch derlei Gerede begraben wird, frei und bloß gelegt. An einem der Abende, als sie vom Garten aus das Feuer im Township beobachteten, hatte Hjalmar eine Bemerkung fallengelassen: »Das Feuer ist in den Köpfen der Leute, nicht auf den Dächern der Häuser« – es war irgendein Dostojewski-Zitat.
    Rebecca erwachte. Auf ihren Wangen zeichneten sich die Falten seiner Buschjacke ab, ihre Augen waren noch immer schlaftrunken und dunkel. Er hielt ihr zuliebe eine Minute an. Sie fand einen kleinen Bach und kam lächelnd wieder die Straße herauf, wobei sie zwischen ihren Fingern eine Lilie drehte, die sie gepflückt hatte. Sie trug ihre alten Jeans und bewegte sich in ihnen ein wenig unbeholfen, vielleicht weil ihr bewußt war, daß sie in ihnen so wirkte, wie sie immer gewesen war – mit ein wenig drallen Schenkeln. Sie sah so jung aus, wenn sie gerade aufgewacht war – jeden Morgen war das so. Das Leben schien aus ihrer Haut zu atmen wie Dampf aus dem Boden über einerMineralwasserquelle; wo immer er sie an Hals oder Gesicht berührte, schlug ein Puls.
    Später hielten sie an, um Kalimos Lunch zu essen, und saßen, weil der Boden sehr feucht war, auf dem Zeitungspapier, in das er ihn eingewickelt hatte. Sie waren jetzt zu faul, um irgend etwas Wichtiges zu besprechen; es wäre in den stillen und luftigen Savannenwald fortgetragen worden wie ihre Stimmen, die erst in weiter Ferne verhallten. Die Vögel gaben keinen Laut, mitten am Tage. Schließlich aber, als sie Kaffee aus der Thermosflasche eingoß, sagte Rebecca doch: »Wenn es nicht die Schweiz ist, also, was dann?«
    »In ein paar Tagen werd ich das wissen. Ich geb dir jetzt nur ein paar von den Fakten, weil ich darüber eigentlich überhaupt nichts sagen sollte. Niemandem. Nicht einmal dir.«
    »Nicht einmal hier?« Halb scherzend, deutete sie mit einer Geste zum Wald hin.
    »Aber sobald ich es genau weiß, sag ich dir alles. Weil du es wissen mußt.«
    Der gesprenkelte Schatten legte einen Schal um ihre Arme, ihre Augen lagen auf ihm. »Jetzt nur so viel – es ist möglich, daß ich etwas tun kann – für Shinza. Und ich werd es tun. Egal, was es ist.«
    Sie sagte nicht, und was ist mit mir? Sie erhob sich bloß, wie um die Reste der Mahlzeit wegzuräumen, und kam dann herüber, wo sie sich unmittelbar hinter ihn, der mit angezogenen Beinen dasaß, stellte, um ihre Arme um seinen Hals zu schlingen und seinen Kopf gegen ihren Bauch zu drücken.
    Er sagte: »Ich werd dir alles sagen.«
    »Ich weiß, daß du das tun wirst. Diesmal.«
    Sie kam und hockte sich vor ihm hin und nahm ihm seine Brille ab. Sie berührte die Haut rund um seine Augen und spielte das alte Spiel, bei dem sie in das kurzsichtige Dunkel starrte, um sich darüber zu beschweren. Er sagte: »Wenn ich dich jetzt küsse, dann kommen wir nie da an.« Sie hob die Thermosflasche auf. »Soll ich den Rest wegschütten?«
    »Na, vielleicht haben wir später noch Lust auf etwas.«
    »Dann ist er aber nicht mehr warm.«
    »Egal, aber naß wird er sein.«
    Als sie zum Wagen zurückkehrten, tauchten zwei Kinder aus dem Wald auf; vielleicht waren sie auch dort, hinter den Bäumen, gewesen und hatten geduldig den Augenblick abgewartet, in dem sie dann herauskommen wollten. Sie legte die Überreste vom Brot und vom Käse und das letzte der Eier mit den kleinen Fischen darin in ihre hohlen Hände. Bevor der Wagen noch davongefahren war, waren die beiden schmächtigen Gestalten schon wieder im Wald verschwunden.
    Bald darauf stießen sie auf etwas, das offensichtlich eine Straßensperre war, die man zur Hälfte wieder beseitigt hatte. Äste und Steine waren an den Straßenrand gezerrt worden, und für den Wagen war gerade genug Platz, um durchzufahren. Es war niemand in der Nähe, aber bis zur Abzweigung zur kleinen Rindertränke sechzig Meilen vor Matoko war es nicht mehr weit. In diesem Teil des Landes war noch kein Regen gefallen; gegen drei Uhr nachmittags machten ihn die Hitze und der monotone Fahrrhythmus, die heiße Luftströmung, die an den Wagenfenstern mit einem Geräusch vorbeistrich, als würde jemand durch seine Zähne pfeifen, schläfrig und benommen. Sie wechselten die Plätze; Rebecca fuhr,

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