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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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trug – offenbar war sie also eher als Sparschwein mitgenommen worden denn als
une petite folie
. Loulou selbst buchte noch nicht im Hotel; er mußte seine guten Freunde beim Zoll im Hafen aufsuchen, und außerdem hatte er versprochen, dem Mädchen eine Perücke zu kaufen – sie legte ihre Finger auf ihre Schultern und lächelte befehlshaberisch, um zu zeigen, daß es langes Haar sein müsse, wirklich langes –, bevor sie sich aufmachten, um in südlicher Richtung zu einem anderen Hafen zu fahren.
    Als sie weggefahren waren, setzte sie sich auf eines der Betten in dem Zimmer, das man ihr gegeben hatte, noch immer leicht schwankend von der Bewegung des Wagens, und rief das Büro der Fluggesellschaft an. Man sagte ihr, sie müsse zwei Tage warten, bis ein Flugzeug nach Zürich ginge; es gebe für sie einen Platz im Flugzeug. Sie notierten ihren Namen, und sie sagte, sie würde das Ticket später zahlen kommen.
    Es war ein Doppelzimmer mit zwei Betten, die durch ein kleines Nachtkästchen – darauf das Telefon, ein Aschenbecher und eine Broschüre mit dem Titel »
Ausflüge und Sehenswürdigkeiten
« in englischer, französischer und portugiesischer Sprache – voneinander getrennt waren. Ein Badezimmer gab es auch, und hinter schweren Vorhängen entdeckte sie einen schmalen Streifen Balkon. Sie ging einen Augenblick hinaus. Der Halbmond einer seichten Bucht, die Palmen, die in regelmäßigen Abständen entlang der Straßenbeleuchtung entschwanden und unmittelbar gegenüberdem Hotel ein neuer Häuserblock, der hinter Strohmatten in die Höhe stieg. In einer Lücke des Rohbaus saßen Arbeiter auf dem Drahtseil der Stahlträger und aßen ihr Mittagsbrot. Tief unten ein winziges Quadrat, das zur Zeit, als die Stadt ein Garnisonsvorposten gewesen war, die
Plaza
gewesen sein mußte und nun wie die Felder eines Hauswappens durch gesandete Wege und schmückende Pflanzen gevierteilt war. Ein Arbeiter mit einem Papierschiffchen auf dem Kopf winkte ihr zu. Sie ging hinein, zog die Vorhänge wieder zu, blieb stehen und blickte die beiden Betten an. Die Decke des einen, auf dem sie beim Telefonieren gesessen war, schlug sie zurück und legte sich auf den Rücken. Sechs falsche Kerzen des Lüsters hatten auf der Decke sechs braune Schattenkreise erzeugt. Die Glastränen schwankten langsam in einem Luftstrom, den sie nicht fühlte. Nichts Vertrautes war in diesem Zimmer außer dem Picknick-Korb und der Aktenmappe. Und ihr selbst. Es war auf den Tag genau eine Woche her, daß sie auf der Straße von Gala gewesen war.
     
    Einer der Männer in der Rezeption des Hotels Lisboa war klein und hatte einen großen Krauskopf, einen winzigen blauumschatteten Mund – egal, wie sorgfältig er sich auch rasiert haben mochte – und junge braune Augen mit Ringen darum wie ein Krallenaffe. Dieser große Kopf ragte nicht hoch über den Tresen empor und war immer über die eine oder andere Dienstleistung geneigt – entweder löste er gerade Reiseschecks ein, oder er erkundigte sich für jemanden telefonisch nach einer Nummer, oder er klickte die Mine aus seinem kleinen vergoldeten Bleistift, um eine Straßenkarte anzufertigen. Er sprach fließend englisch, und er war es auch, der ihr erklärte, wie sie zum Büro der Fluggesellschaft komme. Er trat manchmal heraus, um auf den Knopf zu drücken, wenn der Lift lange auf sich warten ließ; mit einem Lächeln, das an das eines Kranken in einem Spitalsbett erinnerte, nahm er den Zimmerschlüssel, den ein Gast, der in die Sonne hinausging, auf den Tresen fallen gelassen hatte.
    Jedes Detail des Gesichts dieses Mannes konnte sie sich, wennsie wollte, in Erinnerung rufen, es war wie ein Stempel, der auf einem leeren Blatt ausprobiert wurde, während es in Brays Gesicht Lücken gab, die sich nicht schließen ließen. Zwischen dem Jochbein und dem Kieferwinkel an der linken Seite. Von der Nase herab zur Oberlippe. Es gelang ihr nicht, es zusammenzusetzen. Sie fing bestimmte Gesichtsausdrücke und bestimmte Perspektiven ein, aber es gelang ihr nicht, das feste Bild zu finden.
    Die Promenade unter den Palmen war viel länger, als sie aussah. Sie ging langsam und brauchte für den Weg bis zum Anfang der Docks mehr als eine halbe Stunde. Die eine Strecke wollte sie entlang der Promenade gehen, den Rückweg auf der anderen Seite des Boulevards, vorbei an den Geschäften und Gebäuden. Unmittelbar vor den Docks gab es eine Stelle, an der es stank und wo die Promenade von Fischresten glitschig war und schwarze

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