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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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einer mürrischen Stimme, in der sich Mangel an Überzeugungskraft verriet, sagte er, sich der herzhaften Wir-Form bedienend: »Blödsinn, davon zu reden, daß du nächste Woche abfährst. Wir können das nicht zulassen.«
    Sie wandten sich anderen Dingen zu. Nun, da sie allein waren, wollte Mweta doch über den Kundi-Report reden. Er beobachtete Brays Gesicht, als sie zu den Punkten kamen, über die er sich Sorgen machte. Wieder war da der alte Wunsch, in seinenVermutungen und Schlußfolgerungen korrigiert zu werden. Und dann standen sie schon vor dem Haus, und die jungen Männer waren wieder da, während Joy aus und ein ging und die Harrison Tee ausschenkte. Telefone klingelten, der Sekretär brachte ein Telegramm herein. Mweta ging weg, und Bray wartete, um sich von ihm zu verabschieden. Als er zurückkehrte, war die Konvention wieder da, der gutmütige, witzelnde Ton, gespieltes Schimpfen und übertriebenes Bedauern, Pläneschmieden und Versprechungen.
    »Wir wollen kein Wort mehr über dieses Heim-nach-England hören, verstanden?« »In Ordnung, kein Wort mehr über England.« »Ich hab ihm gesagt, England ist was für alte Männer, die noch einmal zurückkehren, um zu sterben, ja?« Joy würde sich wieder telefonisch bei ihm melden; sie würden einander ohnehin in der nächsten Woche bei einem Empfang wiedersehen. Mwetas kräftige Hand lag fest auf seiner Schulter. Ja, das sei ihm recht so, sagte Bray. (Bis dahin würde er längst weg sein; sein Flug war bereits gebucht.) Mweta bestand darauf, ihn bis zum Treppenaufgang hinauszubegleiten. Er sah jung, wach, strahlend aus, hielt einen Augenblick lang inne, während er winkte, so als würde er salutieren, und machte dann sofort kehrt, um hineinzugehen. Schon war dieses Bild von ihm in Brays Kopf – für die Zukunft. Auch nur die leiseste Andeutung, Mweta sei sein Protegé, hätte er voll Abscheu zurückgewiesen, aber an jenem Tag erfüllte ihn das Gefühl des Verzichts, mit dem ein älterer sympathisierender Mensch einen Jüngeren seinen Weg gehen und aus seinem Gesichtskreis verschwinden sieht.
    Aus irgendeinem Grund hatte er Olivia keinen genauen Termin für seine Rückkehr gegeben, obwohl sein Platz im Flugzeug bereits gebucht war; er überlegte, ob er auf dem Rückweg nicht vielleicht eine Woche lang in Spanien Station machen sollte. Er hatte sich den Prado noch nie wirklich gründlich angesehen.
    Drei Tage vor seiner Abreise wurde ihm per Bote ein Brief zugestellt. Mweta bat ihn darin, ab sofort den Posten eines Sonderberaters für Erziehungsfragen anzunehmen – eine neugeschaffeneStelle – und in dieser Funktion eine Untersuchung über die Organisation von Schulen, technischen Lehranstalten und Erwachsenenbildungsprogrammen auf dem Land anzustellen, angefangen bei der größten Provinz, dem im Norden gelegenen Gala. Er wollte den Brief nochmals durchlesen, tat es dann aber nicht. Er reichte ihn Dando weiter.
    »Das hat sich einer aber ganz fix ausgedacht«, sagte Dando.
    Sie brüllten vor Lachen, aber nicht etwa, weil irgend etwas daran so witzig gewesen wäre, sondern weil Bray derart gerührt und aufgeregt war, daß man nicht einfach stillschweigend darüber hinweggehen konnte. Von der Außenwelt durch die große Mauer seiner Verantwortung abgeschlossen, im Echo der Schmeichler und von den Wächtern des Amtes umzingelt, hatte Mweta die Spielregeln der Konvention durchbrochen: Mweta hatte sie von Anfang an durchschaut.
    Dando konnte seinen Mund einfach nicht halten. »Man hat Bray das Ministerium für Kesselhaken und Schreinerei angeboten – o ja, aber eigentlich wollte er sich das Ministerium für Brustentwicklung und Rückenkratzen unter den Nagel reißen, heißt es zumindest.« Man lachte zwar darüber, verstand aber, daß etwas dran war; während die Verwaltung umgestellt und diverse Entwicklungsprojekte in Angriff genommen wurden, vergab man Tag für Tag neue Stellen. Die Namen des Großteils der neuen Funktionsträger waren unaussprechbar, ihre Gesichter schwarz, und die weißen Geschäftsmänner und die Leute im Bergbau hatten von ihnen noch nie etwas gehört. In den Bereichen Justiz, Landwirtschaft, Gesundheitswesen und Erziehung allerdings gab es viele Weiße: Fachleute aus dem Ausland und ein paar altbekannte Gesichter – wie das von Colonel Evelyn James Bray –, die sich in früheren Tagen mehr für die Interessen der Schwarzen eingesetzt hatten als für das Leben der Weißen in der Kolonie. Zu dem Kreis, in dem Bray sich in der Hauptstadt

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