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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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»sieben oder acht« Kinder im Garten spielen sehen und Olivia darüber berichten.
    Wenn er in der Fisheagle Inn ein und aus ging, war er manchmal von dem Anblick, den man von der Veranda aus auf den See hatte, ganz gefangengenommen. Das Zeichen des Sees: ein Schimmern, blendendhell und von der Form eines Streifens, weit weg, jenseits der Bäume, oder, an weniger klaren Tagen, eine andere Nuance in einem Schleier aus Dunst. Einen Augenblick lang dachte er an nichts; das rastlose Flimmern des Sees, die Grenzlinie eines Blicks unter gesenkten Lidern – denn in Wahrheit war es gar nicht der See, den man sah, sondern ein Spiel der Entfernung, das helle Strahlen des Sees, das in die erwärmte Atmosphäre hinaufgeworfen wurde, so wie die riesige Fläche ruhig dahinfließenden Wassers, die sich bis zum Horizont hin dehnte, sobald man an seinen Strand kam, von dem sich derBusch wie Schöpfe von Haaren abhob, in Wahrheit gar nicht der See war, sondern (wie die Landkarte bewies) bloß der allersüdlichste Zipfel der großen Wasser, die sich über sechshundert Meilen und vier oder fünf Staaten des Kontinents nach Norden hin erstreckten. Und da geschah es, nur für einen kurzen Moment, daß dieses Symbol der Unendlichkeit des Raumes, das in sich die Unendlichkeit der Zeit barg, mit der er eins war, sein Denken vom Jetzt löste, und mit einem Mal war er der, der er vor zehn Jahren gewesen war, und gleichzeitig der, der er jetzt war, ein und derselbe. Es war ein Augenblick des Stillstehens, der unbemerkt vorüberging. Er ging weiter, die Verandastufen hinunter, und nahm sich vor, sich für sein Haus irgendein Einrichtungsstück zu kaufen.
    Am zweiten Wochenende konnte er einziehen. Natürlich hatte er den Leuten im
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seine Aufwartung gemacht. Er hatte mit Aleke gesprochen, dem ersten schwarzen Distriktskommissar – aber die hießen nicht mehr so, jetzt liefen sie unter der Bezeichnung »Provinzbeamter«. Und er hatte Sampson Malemba getroffen, den hier zuständigen Mann für das Erziehungswesen und zufällig ein alter Freund, der zu Brays Zeiten Rektor der Schule für die Schwarzen gewesen war. Aleke war genau die Art des »neuen Schwarzen«, den die Siedler am wenigsten ausstehen konnten; feist, charmant, über dem fetten Steiß die Mweta-Tunika hochgezogen, beherrschte er fließend ein informelles Englisch, räkelte sich wie ein Schuljunge hinter seinem Schreibtisch und war dabei beobachtet worden, wie er ein Stück Zuckerrohr kaute, während er sich unter den Bäumen seine Schuhe putzen ließ. Beim konventionellen, pompösen Auftreten halbgebildeter Schwarzer fühlten sich die Siedler zu Hause. Männer in dunklen Anzügen, die Brillen trugen und sich räusperten – in diesen Karikaturen eines Abbildes ihrer selbst erkannten sie die für sie akzeptablen Anzeichen zivilisierten Verhaltens wieder, auch wenn sie selbst biertrinkende Farmer in zerdrückten, kurzen Hosen waren. Blieb lediglich abzuwarten, ob sich Aleke auch noch als tüchtig erweisen würde, und aus dem wenigen, das Bray zu Ohren gekommenwar, ließ sich vermuten, daß das wahrscheinlich der Fall war. Fröhlich erklärte er, er habe keine Ahnung, was er für Bray tun könne – man hatte ihn ersucht, »alles ihm mögliche zur Unterstützung zu veranlassen« und so weiter, und es liege nun an Bray, ihn wissen zu lassen, was das sein mochte. »Hätten Sie vielleicht irgendwas, wo ich arbeiten könnte – das ist das wichtigste.« Aleke fand das äußerst komisch. »Ich will damit sagen, können Sie ein Büro, in dem auch noch eine Schreibkraft Platz hat, entbehren und mir zur Verfügung stellen – Sie haben sicherlich wenig Personal.« »Ein Büro? Aber selbstverständlich! Nur, die Schreibkraft, fürchte ich, ist nicht besonders hübsch. Ich werde sie Ihnen vorstellen.« Er läutete eine Glocke, und herein kam ein männlicher Büroangestellter, typisch zweijährige Volksschulbildung, mit dem knochigen Rücken eines Greises und dem Gesicht eines Halbwüchsigen, dessen Vitalität dem Studium von Heimlehrgängen zum Opfer gefallen war. »Mr. Letanka. Er wird Ihnen, soweit es in seinen Kräften steht, zur Verfügung stehen.« Als der Angestellte gegangen war, zeigte sich Aleke noch immer leicht belustigt: »Also, das wär’s. Aber ich habe mich – Dringlichkeitsstufe eins – um eine wirklich tüchtige und schöne Sekretärin bemüht, kann also sein, daß sich unser Niveau hebt.«
    Aleke drängte darauf, daß er sich in seinem Haus einrichte, bevor »wir etwas

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