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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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mit dem Job des obersten Justizbeamten – zwei Polizisten, die Gerechtigkeit und ich, damit hat sich’s dann schon. Vermutlich ist er in Ordnung, solange Mweta den schmalen und geraden Pfad der Tugend wandelt.«Sobald er wieder zu Hause war, wollte er Dando anrufen; und ebenso unvermittelt entschied er, daß das nicht das Richtige war. Das Haus hatte einen Mehrparteienanschluß, und davon abgesehen würde die Vermittlung im Ort ohnehin jedes Wort mithören. Er schrak zurück vor dem Bauchrednergequatsche Dandos, das aus der Ferne zu ihm dringen würde.
    Während Bray mit Shinza beisammen gewesen war, war er sich wie ein Erwachsener vorgekommen, der sich weigerte zu glauben, daß sein Lieblingskind gelogen oder betrogen haben soll. In Shinzas Haus hatte er Angst davor gehabt, Mweta wüßte
tatsächlich
davon. Nun aber – allein inmitten des sanften Grases, das sich, abgesehen vom Aufblitzen einer Ölkanne auf dem Kopf einer Frau, ohne ein Anzeichen eines weiteren menschlichen Wesens bis zum Horizont dehnte – spürte er, es gab die Möglichkeit, daß Mweta tatsächlich nichts davon wußte, daß die Größe dieses unzugänglichen Landes mit seinen Verbindungen, die sich auf überfluteten Pfaden und unter ameisenzerfressenen Telegrafenmasten verloren, es den Menschen ermöglichte, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, während Telefone, Telex und Flugzeuge Mweta hinter der roten Backsteinfassade seiner Präsidentenresidenz näher an Addis Abeba, New York und London heranbrachten als an diese von Gras überflutete Steppe, über die der Wind unter dem leeren Himmel hinwegheulte.
    Auf dem Paß (er fuhr nun die direkte Route und legte in einem Tag die Strecke zurück, für die er vorher drei benötigt hatte) verlor sich diese Zuversicht wieder – aus ebenso unvernünftigen Gründen. Rauhe Berge mit dunklen Flanken umschlossen die Straße und ihn. Shinza hatte eine andere Art von Zuversicht, eine, durch die sich Bray provoziert fühlte, aber nicht nur geistig, sondern körperlich, in allen Sinnen; Shinza beschäftigte im Augenblick seine ganzen Gefühle und Gedanken, mit Bildern, die so lebendig waren, daß er sich seltsam alarmiert fühlte. Eine Rastlosigkeit wühlte den festgestampften Boden seines Selbst auf, rührte an einen Nerv, der (natürlich) längst verkümmert war – so wie der Vagus mit dem Ende der Reifezeit obsolet wirdund die Hypophyse zu arbeiten aufhört, wenn das Wachstum abgeschlossen ist. Shinzas nackte, kräftige Füße, mißgestaltet durch Schuhe, stampften auf dem Lehmboden herum – das Auftreten eines Bühnen-Othello vor den Gestaden Zyperns. Er rauchte Zigaretten, die über die Grenze geschmuggelt worden waren; Freunde jenseits der Grenze: wer Zigaretten hatte, hatte wahrscheinlich auch Geld und Waffen. Und das Baby; warum tauchte immer wieder plötzlich das Baby auf? – Shinza hielt es ebenso beiläufig in seiner Hand, wie er dieses Mädchen geschwängert hatte. Er gab nicht einmal damit an, daß er eine neue, junge Frau hatte, für ihn bedeutete das nichts.
    Der Mann wird sein Leben ändern, der Gedanke brannte in Bray. Mweta war nun nicht mehr als nur der Faktor, dessen Existenz das auslösen, zum Leben erwecken würde. Shinza hätte ebensogut dreißig wie vierundfünfzig sein können. Nein, es war nicht das, daß er ein alternder Mann war, der wie ein Jüngling wirkte – es war etwas ganz anderes –, daß er (aber auf ganz natürliche Weise und mit seinem Einverständnis) dazu getrieben wurde, weiterzuleben, solange er am Leben war. Er mußte schon tot umfallen, wenn er gestoppt werden sollte.
    Das Haus in Wiltshire mit all seiner gemütlichen Schönheit und seiner Ordnung, dem Weihrauch von frischgepflückten Blumen und guter Küche, seinen Trankopfern aus Weinen, die erst nach sorgfältiger Diskussion ausgewählt worden waren, brachte sich mit all der stillen Anschaulichkeit eines interessanten Totenkultes in Erinnerung; dort wieder aufzuwachen würde bedeuten, daß man sich stillschweigend bei lebendigem Leibe hatte begraben lassen. Gleichzeitig hatte er das steinerne Gefühl des Betrugs. Olivia ging dort herum, auf dem Nachtkästchen Minzbonbons und Zigaretten, ihre langen, glattbestrumpften Beine unter Röcken, die hinten immer leicht herabhingen. Ein Detail, das aus einem Bild herausgenommen, isoliert und nahe ans Auge herangezogen wurde. Er versuchte sich plötzlich an das Gefühl zu erinnern, in Olivia zu sein. Aber das konnte er nicht. Alles, was er hervorbrachte,

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