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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Morgenmantels, daß sich die muskulösen Hinterbacken darunter vorwölbten, als er wegging und im Haus verschwand, in dem Bray auf ihn gewartet hatte. Bray tat, was er mußte; besuchte die Dorfschule, fuhr zwanzig Meilen weiter bis zur Missionsschule der Weißen Väter, drehte schließlich um und fuhr die Straße, die er gekommen war, ohne stehenzubleiben, zurück, vorbei an denKindern, die noch immer die alte Wäschemangel als Spielzeugpferd benutzten, vorbei an den Ziegen, den Fahrrädern, den Lehmhütten und dem Schilfzaun, hinter dem Shinza lebte. Aber Bray machte das alles mit blinder Aufmerksamkeit – er hielt den gedanklichen Druck, der ständig wuchs, von sich ab, wartete auf den Anlaß, an dem er sich entladen würde. Das Zittern des Ganghebels in seiner Handfläche, das die schreckliche Straße bewirkte, wurde zum Ausdruck eines Zitterns seiner Hand selbst, das er unterdrückte. Zwei Monate und siebzehn Tage. Erst seit ein paar Monaten wieder hier, und schon hat es angefangen – das Zusammenschlagen, das Einsperren. Eine alte Geschichte. Kein Wunder, daß sich Shinza nicht zurückhalten konnte, über seine Reaktion zu spotten. Er hatte sich nie zu denen gezählt, deren radikaler Liberalismus auf nicht mehr hinauslief als auf eine abstrakte Ablehnung von Methoden der Gewaltanwendung. Noch nie zuvor war er mit dieser Art des Selbstbetrugs konfrontiert gewesen. Im Laufe der Jahre hatte er – aus der Distanz – einige häßliche Fakten akzeptiert, sofern diese unglücklicherweise unvermeidbar schienen, wenn der soziale Wandel, an den er glaubte, herbeigeführt werden sollte. Er versuchte verzweifelt, das Bild des Rückens wegzuschieben. Er würde vieles verzeihen, wenn er sah, daß die Art von Staat geschaffen wurde, die Shinza und Mweta gemeinsam gewollt hatten.
    Aber zwischen Shinza und Mweta stand die ›Befragung‹ des Jungen.
    Und er selbst? Würde er auch sich selbst verzeihen? Vielleicht war seine Erschütterung im Grunde nur der Ausdruck dafür, daß er sich selbst nicht die Hände schmutzig machen wollte. Das war seine Art des Betrugs. Laß es geschehen, wenn es sein muß, aber nicht durch mich, laß nicht zu, daß ich selbst Hand anlege, nicht einmal dadurch, daß ich meine Unterschrift unter einen Bericht über das Erziehungswesen setze. War es das? Und dennoch hatte er den Impuls, auf der Stelle in die Hauptstadt zu fahren, zu Mweta; so als würde das ein für allemal alle Zweideutigkeiten ausräumen: die, die ihn selbst, und die, die das Geschehenebetrafen. – Aleke? Er sollte zuerst wenigstens mit Aleke reden, um Klarheit zu schaffen. Aleke mußte derjenige sein, der die Verantwortung übernommen, unterschrieben hatte. Er sah sich und Aleke in Häusern aus und ein gehen, im
boma
, die Dorfstraße von Gala entlang, sah, wie sich ihre Fühler berührt hatten, wenn sich ihre Wege kreuzten – wie die von Ameisen. Aber Aleke hätte einen Mann niemals aus eigener Initiative eingesperrt; dann war es also Aleke, der von Lebaliso Befehle erhalten hatte? Aleke und Bray hatten über Lebaliso gelacht, einen quecksilbrigen, kleinen Mann, der das Amt von Major Conner, dessen Bursche er im Krieg gewesen war, übernommen hatte. Lebaliso war ein Nichts; das war Aleke zweifellos nicht: Beide taten sicher das, was man ihnen sagte. Aleke war ein tüchtiger Beamter, unabhängig, aber ohne Sinn für Politik und ohne politische Ambitionen. Wenn aus der Hauptstadt ein Befehl einlief, würde er ihn einfach unterzeichnen. Umgänglich, vertrauensvoll, immer über den Papieren mitten im Kinderlärm auf seiner Veranda, wußte er, was er tat, und nahm wohl an, die Leute da oben an der Spitze wüßten ebenfalls, was sie taten. Schließlich und endlich – die Regierung war die PIP . Die festen Überzeugungen von Leuten wie Aleke bringen Regierungen zwar an die Macht, zur Gefahr werden sie für sie aber nie; Aleke würde niemals seine Meinung über Mweta oder irgendwas anderes ändern.
    Mweta hatte Justin Chekwe das Justizministerium gegeben; Bray kannte ihn nicht gut, aber Roly Dando nannte ihn einen Pin-up-Boy aus Gray’s Inn – »Wer weiß schon, was wirklich unter dieser Nylonperücke steckt, ich saß beim Dinner neben ihm und erwischte ihn dabei, wie er sich in einem Suppenlöffel bewunderte …« Dando redete so viel: »Wenn dir das Justizministerium einmal übergeben worden ist, dann hast du nicht mehr allzuviel mit Gerechtigkeit zu tun. Du hütest den Frieden dann so, wie es die Big Boys wünschen. Das gleiche

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