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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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seinen Teller um eine weitere Portion Fleisch hin; er hielt ihn ungeduldig, weil er etwas sagen wollte, aber nun aufpassen mußte, was er kriegte.
    »Raus mit ein paar Ziegeln, was soll die Aufregung?« sagte er.
    »Das Wasser. Die Vorschriften.« Sanft breitete seine Mutter die Fakten aus.
    »Ach … es wird ein Jahr dauern, bevor sie wieder jemanden herschicken, und wenn sie’s tun, nun, da sind die Ziegel, man schlägt ein paar raus, und damit hat sich’s …« Der Junge schnitt sein Essen in Stücke, spießte es auf, nun kaute er und sagte nichts, während seine Schwester, die Hände untätig auf dem Tisch, sagte: »Mach die Augen zu, Hjalmar, und wart, bis sie wieder weg sind.« Ihre schmalen, schwarzen Augen nahmen einen Augenblick lang von Brays Anwesenheit Notiz, die Pupillen schienen sich zusammenzuziehen, bis sie geschlossen waren, sie schien einzuschlafen, dann erwachten die Augen zu neuem Leben, wurden wäßrig-schwarz, und gerade als er überlegte, daß dieses Mädchen niemals lächelte, lächelte sie ihm zu – mit dem leuchtenden, lebhaften und humorvollen Lächeln tiefen Selbstvertrauens.
    Der Lunch wurde wegen der Verpflichtungen Hjalmars, seiner Frau und seines Sohnes abrupt abgebrochen; Stephen wurde vom Barkeeper, einem Farbigen mit einer Strähne seidig-schwarzen Schnurrbarts, gerufen. »Das Problem ist, daß du diesen Burschen gegenüber zu weich bist. Es braucht bloß einer zu sagen, er komme von den Wasserwerken oder was Ähnlichem … das bedeutet doch nicht
das Ende der Welt
…« Stephens zögernd von der Tür her vorgebrachter Vorwurf verriet Anteilnahme. Der Barkeeper legte die Fähigkeit des Personals an den Tag, Taubheit vorzugeben, sobald es sich in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers aufhält. Bray fühlte sich ihm auf sonderbare Weise verbunden, wie der Mann dastand und die Füße in Schuhen bewegte, in die für die entzündeten Zehenballen Löcher geschnitten waren. Hjalmar schüttete seinen Kaffee hinunter, weil Margot Wentz ihn daran erinnerte, daß er in einer halben Stunde am Bahnhof sein mußte;Bray erklärte sie: »Wenn man bei der Ankunft des Zugs nicht da ist, holen sie einfach das Zeug aus dem Kühlwagen und stellen es auf dem Bahnsteig in der Sonne ab.«
    »Wo hast du die Rechnungen?«
    »Schon gut, schon gut, wird mir gleich wieder einfallen …« Sie stand auf, um sich von ihrem Instinkt an jene Stelle führen zu lassen, wo sie die Papiere beim allmorgendlichen Hin und Her zwischen Korridor und Küche hingelegt hatte.
    Emmanuelle ging hinüber und küßte ihren Vater auf die Stirn – um ihrer Mutter zu helfen. Margot Wentz, die die Brille aufsetzte, um die Rechnungen, die sie in ihrer Handtasche gefunden hatte, durchzusehen, hielt inne, als das Mädchen die Strähne glänzenden Haares, die die Glatze vom einen Ende zum anderen verdeckte, mit ihren Lippen zur Seite schob; auf dem Gesicht der Frau lag ein Ausdruck vorsichtig tastenden Erkennens; dann wandte sie sich innerlich ab, und mit einem Rümpfen der Nase, mit dem sie den Sitz der Brille korrigierte, blickte sie hinunter auf die Rechnungen.
    Obwohl Hjalmar in Eile war, kam er mit Bray auf dem Weg durch den Gang hinunter nur langsam vorwärts, redete und hielt inne, um seinen Standpunkt darzulegen. Jetzt war die Eisenbahn an der Reihe; eine Menge Unfälle, seit Schwarze als Lokomotivführer eingestellt worden waren. Bray sagte: »Trinken scheint das Problem zu sein.« Hjalmar Wentz hielt es für unbedingt notwendig, irgendwie die Vorurteile und Fehleinschätzungen, die von allen Seiten drohten, zu Protokoll zu geben. Er spielte auf Mweta an, ohne ihn namentlich zu nennen – das bedeutungsvolle Personalpronomen, bei dem er seine Stimme einen Augenblick lang signalhaft und unmißverständlich senkte. Hitzig sagte er: »Natürlich trinken sie. Sie müssen sich irgendwie beweisen, daß das neue Leben gut ist. Was glauben diese Weißen denn, wie sich ihre Urgroßväter aufgeführt haben, als sie zum ersten Mal für ihre Arbeit in einer europäischen Fabrik den Wochenlohn ausbezahlt kriegten, hm? Diese Engländer – ihre Urgroßväter ließen sich mit billigem Gin vollaufen, und jetzt rümpfen sie über dieSchwarzen die Nase … Aber
er
weiß, wie man damit fertig wird,
er
weiß, was man dagegen unternehmen muß. Jetzt erklärt er es zu einem Vergehen, wenn jemand vor Dienstantritt trinkt, ein Drink, und schon ist man seinen Job los. Klug, vernünftig. Sie werden sehen, bald, äh, werden sich die Männer selbst

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