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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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seiner Minister? Irgendeine Vorstellung, was dahinterstecken mochte? »Wie du weißt, war Paul Sesheka immer schon ein bißchen problematisch«, sagte Neil. »Und in jüngster Zeit gab’s ziemlich viel Gerede darüber, daß sich Dhlamini Okoi auf seine Seite geschlagen hätte – die Abstimmung, wer die Vergabe der Geldmittel kontrolliert, und so weiter. Zog unweigerlich eine Menge Blabla nach sich, weil jeder gern für sich in Anspruch nehmen würde, dieses oder jenes für die Entwicklung des Gebietes, aus dem er kommt, getan zu haben. Zu Hause möchte jeder als der braunäugige Junge angesehen werden, der ihnen zu einem Baumwollentkernungswerk oder einem Schlachthof verholfen hat. Niemand möchte die Entscheidung darüber, welches Gebiet was benötigt, der Entwicklungs- und Planungskommission überlassen. Ja, bei Okoi und Moses Phahle gibt es Anzeichen dafür, daß sie bereit sind, sich Sesheka anzuschließen, so als könnte der Pilotfisch andere Gewässer ansteuern – aber ich weiß nicht, ich kann mir nicht vorstellen, wie Sesheka Mweta tatsächlich bedrohen will, du vielleicht? Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es auch nur fünf Minuten lang mit Mweta aufnehmen will, ich glaub nicht, daß er das Zeug dazu hat. Er kam jetzt wegen dieses Wasserkraftprojektsarg ins Schleudern. Das mußt du doch gelesen haben? Zuerst hat er den Präsidenten gedrängt, vorzupreschen und gesagt, er ›bedaure‹, daß so wenig dafür getan würde, ein Zeichen für die praktische Freundschaft und Brüderlichkeit und so weiter mit afrikanischen Nachbarstaaten zu setzen. Dann hat er sich’s plötzlich anders überlegt und Forderungen nach einem eigenen Wasserkraftprojekt vorgebracht – was gar keine schlechte Idee wär, gäb es nicht den Umstand, daß wir die ganzen Kosten allein bestreiten müßten, während das andere Projekt auf Kostenteilung basiert und die Finanzierung ohnehin schon gesichert ist, weil Amerika, Westdeutschland und Frankreich zahlen …«
    »Ich hab gesehen, daß die Morgenzeitung so argumentiert hat.«
    »Ich weiß. Purer Zufall. Ich glaub nicht, daß Sesheka dort irgendeinen Einfluß hat. Das ist einzig und allein Evan Black, der die Verkaufsziffern weiter hochhalten möchte und deshalb provokative Äußerungen macht.«
    Vivien sagte: »Unfair, Neil. Du weißt, daß Evan der Meinung ist, man habe die Leute oben im Norden vergessen.«
    »Aber wenn’s jemand wär, der mehr Durchschlagskraft hat als Sesheka, müßte sich Mweta dann Sorgen machen?« fragte Bray.
    Neil rülpste und schüttelte den Kopf, und als er reden konnte: »Aha! Aber das ist eine andere Geschichte, James. Darüber muß man sich immer Sorgen machen; wenn es zum Beispiel Tola Tola wäre, selbst wenn er keinerlei echten Anlaß zur Klage hätte, der ihn auf die Barrikaden treiben könnte.«
    »Du glaubst nicht, daß es einen echten Anlaß gibt?«
    »Nein, glaub ich nicht. Mit echten Klagen meine ich, daß Mweta schon dabei scheitern müßte, die Möglichkeiten zu nutzen, die ihm für das Land zur Verfügung stehen.«
    »Ich hör, daß Industrielle fünfzig Pfund bezahlen, nur damit sie mit ihm essen können.«
    Neil grinste. »Mein Gott, der alte Mweta muß ’n Masochist sein.«
    Sie sprachen über Brays Arbeit, und Bray erzählte ein paarAnekdoten aus Gala – wie er wochenlang für die Mitgliedschaft im dortigen Club kandidiert hatte, bis ein kühner Tuchhändler seinen Antrag unterstützt hatte. Vivien unterhielt sich gerade am Telefon mit einem Freund; nach einer Weile kam sie zurück und sagte: »Habt ihr gewußt, daß Mweta um Mitternacht eine Ansprache im Radio halten wird? Offenbar hat man das am Nachmittag alle Stunden angesagt.«
    Neil öffnete eine weitere Flasche Wein. »Den Vertrag haben die Chinesen gekriegt. Frankreich, Westdeutschland und Amerika haben das Darlehen aufgekündigt. Oder sie bauen beide Dämme – den durch den See ebenfalls. Oje, oje, wir können nicht schlafen gehen.«
    Vivien blickte Bray an. Sie sagte: »Er ist müde. Er ist Hunderte von Meilen gefahren.«
    Er schämte sich für Mweta. Warum um Mitternacht? Wer war in solchen Fragen sein Ratgeber? Vielleicht wußte er nicht, daß Hitler immer ausgefallene nächtliche und frühmorgendliche Stunden für seine Reden gewählt hatte, wenn er sich durch das Land der Träume Einlaß verschaffte und in die Köpfe der Menschen eindrang, wenn der Blutdruck und der psychische Widerstand auf dem tiefsten Punkt waren. »Zweifellos wäre Mittag ein angenehmerer Zeitpunkt,

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