Der Eid der Heilerin
ich den Hof verlassen?«
Jehanne lachte rau. »Das weiß ich nicht, Kind. Was du mir erzählt hast, ist in der Tat ernst, viel ernster vielleicht, als wir uns vorstellen können. Aber ... möglicherweise hast du den Schlüssel zu diesem Rätsel selbst in der Hand. Ich denke, deine Ziehmutter wird gern kommen.«
Arme Jehanne. Sie betrachtete Anne, während sich ihr Gesicht verzog, und einen Augenblick lang sah es aus, als bräche sie in Tränen aus. Anne eilte zu ihr, um sie zu trösten. »Regt Euch nicht auf, Mistress. Irgendwie werden wir es dem König schon sagen.« Behutsam nahm sie Jehannes Hände und machte besänftigende Geräusche, wie eine Mutter, die ihr Kind tröstet.
Diese herzliche Geste schien die alte Frau noch mehr zu erschüttern. Sie nahm Anne bei den Schultern und sah ihr suchend in die Augen, ehe sie ehrfürchtig nickte. »Ja, dieser Freundlichkeit bin ich früher schon einmal begegnet. Mein Gott ... oh, mein Gott. Du warst nie wie die anderen, und nun weiß ich auch, warum.«
Anne war bestürzt. »Was meint Ihr damit, Dame Jehanne? Welche anderen?«
Aber Jehanne schüttelte den Kopf. »Deine Ziehmutter. Wie kann ich ihr eine Nachricht zukommen lassen?«
Warum fürchtete sich Anne mit einem Mal so? »Das ist nicht ganz einfach. Manchmal habe ich ihr über einen befreundeten Kesselflicker einen Brief geschickt. Er kauft seine
Waren in London ein und wohnt dann immer im Gasthaus in der Eastchepe.«
»Und wann wird er wieder in London sein?«
»Vielleicht jetzt. Manchmal überwintert er hier und geht erst wieder im Frühjahr auf Wanderschaft.«
Jehanne stand abrupt auf. »Ich bin bald zurück. Bis dahin bleibst du hier. Ich werde über das nachdenken, was du mir erzählt hast.«
Erst als die alte Frau die Schlafstube verlassen hatte, fiel Anne auf, dass sie ihr nichts vom König erzählt hatte. Sie schloss die Erinnerung an ihn in ihrem Herzen ein. Erschöpft ließ sie sich auf das Bett sinken und schlief ein, schlief zum ersten Mal seit langer Zeit gut und fest.
Jehanne eilte unterdessen zum äußeren Trakt des Schlosses, wo die Wachen der Königin untergebracht waren. Sie suchte einen alten Freund, einen Sergeanten, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Er stammte aus derselben Gegend wie sie, aus der Nähe von Patrington im Norden. Sie fand ihn, in seinen alten Soldatenmantel gehüllt, in den riesigen Stallungen der königlichen Pferde, die selbst im Winter genug Platz für über zweihundert Tiere boten.
»Sergeant Cage?«
Beim Klang der Stimme - der Stimme einer Dame, die ihm dennoch vertraut war - drehte er sich um. »Dame Jehanne. Na, so etwas. Seid gegrüßt.« Doch dann runzelte er die Stirn. Eine Frau bei den Ställen, das schickte sich nicht.
»Ja, Sergeant, ich weiß. Ich sollte nicht hier sein, aber ich möchte Euch um einen Gefallen bitten. Es ist dringend. Ich brauche einen vertrauenswürdigen Mann, der eine Nachricht nach London bringt.« Die alte Dame zog eine Geldkatze hervor und zählte sorgfältig eine Reihe Silberlinge und zwei Silberpennies ab. »Ich hoffe, es macht keine allzugroßen Umstände. Ihr wisst, dass ich Euch nicht darum bitten würde, wenn es nicht äußerst wichtig wäre. Reicht die Summe?«
Seine rauen Hände umfassten die ihren. »Steck dein Geld wieder ein, Mädchen.« Seine Stimme hatte einen weichen Klang angenommen, und seine Worte übersprangen die Standesgrenzen, die zwischen ihnen lagen. Einst, als sie beide noch jung gewesen waren, waren sie einander zärtlich zugeneigt gewesen, und das hatte er nie vergessen, ebenso wenig wie sie. »Wo ist diese Nachricht? Und wem soll ich sie überbringen?«
Jehanne gab ihm den Brief, ehe sie, von alten Erinnerungen erfüllt, in die Gemächer der Königin zurückeilte. Dort fand sie alles in Aufruhr vor. Der Jagdausflug war für Elizabeth in der Tat zu anstrengend gewesen, und sie war bereits vor dem König zum Schloss zurückgekehrt. Sie hatte Haltung bewahrt, bis sie in ihre Gemächer zurückkehrte, wo sie zusammengebrochen war. Jehanne sorgte sogleich dafür, dass die Königin entkleidet und zu Bett gebracht wurde - hätten nur die Hofdamen ihr nicht dauernd im Weg gestanden. Sie schickte Evelyn nach Anne, da jetzt jede Hand gebraucht wurde.
Die Königin hatte ihr bleiches Gesicht in den Schoß von Lady de Sommerville, der Frau eines mächtigen Gutsherrn aus dem Norden und treuen Anhängers des Hauses York, gebettet und die Augen geschlossen. Jehanne versuchte unterdessen, das Kleid ihrer Herrin
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