Der Eid der Heilerin
Cuttifer. Ihr dürft Euch ab sofort Baronet nennen. Für Eure treuen Dienste an Eurem dankbaren König und der Zunft der Tuchhändler schlage ich Euch zum Ritter. Das Adelspatent werdet Ihr nach meiner Rückkehr nach London erhalten, doch nun wünsche ich eine gute Nacht.«
Taumelnd vor Glück folgte Mathew einem schweigsamen Diener zu dem prachtvollen Schlafgemach, das ihm für die Nacht zugewiesen worden war. Es war ein geräumiges, mit Wandteppichen ausgeschmücktes Zimmer unweit der königlichen Gemächer, doch vor Aufregung und Müdigkeit nahm er die Pracht kaum wahr. Nur die Tatsache, dass seine Frau Margaret nicht hier war, trübte seine Stimmung. Sie war jetzt eine Lady, die nicht mehr nur durch ihre eigene Herkunft geadelt war, sondern auch durch ihn, dachte er glücklich. Und er konnte seinem über alles geliebten Enkel Edward einen Titel vererben. Der Spross aus der tragischen Ehe seines Sohnes war ein blühendes Kind von sechs Monaten, besaß bereits mehrere Zähne und wurde vom ganzen Haushalt verwöhnt.
»Sir Mathew. Sir Mathew Cuttifer«, sprach er mehrmals laut vor sich hin, nachdem er den Diener entlassen hatte, der ihm den Weg geleuchtet hatte. Der Name hatte Gewicht - ein Mann, den man nicht leicht übergehen konnte. Als praktisch denkender Geschäftsmann wusste er natürlich, dass der Ritterschlag eine Bestechung war, trotzdem fand er, er habe ihn verdient. Insgeheim erregte es ihn, im Zentrum des politischen Geschehens zu stehen, und diese neue Ehrbezeigung war der beste Beweis dafür. Doch nun brauchte er dringend etwas Schlaf. Er gähnte herzhaft, während er sich entkleidete, und wagte kaum zu hoffen, dass jemand daran gedacht hatte, das Bett anzuwärmen oder zumindest die Tücher zu lüften. Klamme Laken im Winter waren ihm verhasst, da es das Aufstehen am Morgen zur Qual machte. Als er sich nach einem Löschhütchen umsah, um die Kerze zu ersticken, bemerkte er, dass jemand etwas unter der Tür durchgeschoben hatte. Es war ein kleines, viereckiges Stück Pergament, das mit einem Wachsklecks versiegelt war. Neugierig brach er das Siegel, faltete das Briefchen auseinander und brummte überrascht, als er den Namen am Ende der Zeilen las. Anne!
Der kurze Brief war in einer zierlichen, fließenden Handschrift geschrieben. Sie bat ihn darin um Vergebung, dass sie ihn in seiner Ruhe störe, und fragte an, ob sie ihn heute, am ersten Weihnachtstag, nach der Messe kurz sprechen könne. Sie habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, das keinen Aufschub dulde.
Nachdenklich schob er den Brief unter sein Kopfkissen und löschte die Kerze. Das Ganze war sehr seltsam, und er hatte auch noch nie einen Lateinisch geschriebenen Brief von einer Frau erhalten. Hatte sie es als eine Art Geheimsprache benutzt, weil sie wusste, dass kaum jemand des Lateinischen mächtig war, falls der Brief in falsche Hände geriet?
Anne hatte die Idee gehabt, mit Mathew zu sprechen, nachdem sie, Deborah und Jehanne erfahren hatten, dass er sich im Schloss aufhielt. Zwar war Anne besorgt, er könnte ihr vielleicht nicht helfen, aber sie wusste nicht, an wen sie sich sonst hätte wenden können, außerdem vertrauten sie und Deborah darauf, dass er ein gutes Herz hatte.
Auch in dieser Nacht wurde Anne wieder von Albträumen heimgesucht. Das Gesicht des Königs, sein Mund, sein Körper verwoben sich mit Bildern von Verlust und Leid. Sie lief vor dem König davon, der hinter ihr herjagte. Im einen Moment wollte sie gefangen werden, im nächsten lief sie umso schneller, wohl wissend, dass sie sterben musste, wenn er seine Hände nach ihr ausstrecken, sie berühren, sie fangen würde.
Sie fuhr aus dem Schlaf hoch. Ihr Herz hämmerte, und ihr Mund war vor Angst ganz ausgetrocknet. Es war stockdunkel, und sie hörte das Schnaufen und Grunzen ihrer schlafenden Kameradinnen. Sie lag mit offenen Augen da, dachte an den Wahnsinn der vergangenen vierundzwanzig Stunden und betete, dass Mathew ihren Brief erhalten hatte. Er wusste doch bestimmt, was zu tun war, oder nicht? An Schlaf war nicht mehr zu denken. Zum ersten Mal sehnte Anne den kalten Wintermorgen herbei.
Nicht so die Königin, der das Aufwachen besonders in der Schwangerschaft schwer fiel, obwohl sich ihr Zimmer bereits beim ersten Morgenlicht mit Frauen füllte. Während sie angekleidet wurde, erschien auch schon der König. Er war bester Stimmung und begrüßte die Königin mit einem lautstarken Kuss, obwohl sie protestierte, sie sei noch nicht bereit, ihn zu empfangen. Und dann
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