Der Eid der Heilerin
Stirn. »Noch nicht, aber ich habe einen Kontaktmann, einen Mönch in der Abtei. Er wurde als Leibeigener in meines Vaters Haus geboren, und da er ein kluger Kopf war, schenkte mein Vater ihm die Freiheit und verschaffte ihm den Platz im Kloster, wo er studieren konnte. Er hat dort einen guten Stand, doch Zugang zur Schatzkammer, wo die königlichen Urkunden aufbewahrt werden, ist nicht leicht zu erlangen. Trotzdem ...« Seine Miene hellte sich auf. »Möglicherweise gibt es noch einen anderen Weg. Zufällig habe ich gerade einen neuen Abendmahlskelch für den Hochaltar gespendet. Am kommenden Sonntag werden Lady Margaret und ich seiner Einweihung beiwohnen. Ich habe den Prior gebeten, mir zu zeigen, wo er zwischen den Gottesdiensten aufbewahrt wird.« Mathew rieb sich die
Hände. »Natürlich in der Schatzkammer!« Sein heiteres Lachen wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.
»Herein«, rief Mathew. Die Tür ging auf, und Anne sah überrascht einen ungeheuer großen und breitschultrigen Mann, der sich unter den Türsturz duckte. Er war sogar größer als der König. Dieser blonde, grauäugige Riese war noch jung, wie seine frische, glatte Haut verriet, seine entschlossenen Gesichtszüge ließen ihn jedoch älter wirken.
»Anne, das ist Kapitän Mollnar. Er wird dich und Mistress Shore in meiner Kogge, der Lady Margaret, nach Norden bringen. Mein Schwiegersohn, Giles Raby, wird dich in Whitby abholen - es ist alles arrangiert. Bitte pack so schnelll wie möglich deine Sachen.«
Anne knickste und senkte die Augen, wie es einer guten Dienstbotin geziemte. Mathew und der verblüffte Kapitän eilten hinaus. Eine weibliche Fracht hatte Leif Mollnar noch nie transportiert.
Anne und Deborah blieb kaum Zeit, sich warm genug anzuziehen, als Lady Margaret sie auch schon zur Anlegestelle begleitete, wo Sir Mathews Stadtboot heftig an den Leinen zerrte. Anne machte noch einen Knicks vor den Cuttifers und bedankte sich bei ihnen, dann wurde sie mitsamt ihrer Reisetruhe auf das stattliche Boot gehoben, das an der Treppe zu Blessing House ungeduldig auf und nieder hüpfte.
Leif Mollnar wiegte den Kopf und schielte verstohlen nach seinen Passagieren. Die Jüngere war wenigstens hübsch, obwohl ihr Gesicht unter der Kapuze ihres Mantels kaum zu sehen war. Frauen hatten stets etwas Beunruhigendes für ihn, und seine gute Kogge, die im Hafen von Southampton lag, war für derartige Passagiere nicht ausgerüstet. Wie sollte sie auch? Es war ein Lastschiff mit einer einzigen, winzigen Kajüte - seiner eigenen - unter dem Achterdeck. Seinen Männern würde es nicht gefallen, mit drei Frauen an Bord in See zu stechen. Seemänner waren abergläubisch, er machte da keine Ausnahme, und Frauen bedeuteten Unglück, vor allem blutende Frauen. Sie brachten Stürme, und diese Reise würde ohnedies schon schwierig genug werden. Obwohl es Winter war, hatte Sir Mathew befohlen, die Nacht durchzufahren, um Zeit zu sparen, und nicht wie sonst abends in einem Hafen festzumachen.
Doch Leif hob die ansehnliche Geldbörse hoch, die Sir Mathew ihm gegeben hatte. Nach dem Gewicht des Beutels zu schließen, überstieg die Bezahlung bei weitem den üblichen Lohn für eine Routinefahrt. Und er entsann sich auch an den eindringlichen Tonfall, als sein Herr ihm den Beutel am Morgen gegeben hatte. »Sei achtsam mit den drei Frauen, Leif, sehr achtsam.« Ob sie nun Unglück brachten oder nicht, die drei lagen seinem Herrn sehr am Herzen.
Dahinter steckte bestimmt irgendetwas Geheimnisvolles. Jedenfalls würde es gewiss eine interessante Fahrt werden.
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Kapitel 33
Der König war wütend auf die Königin, und Doktor Moss war wütend auf Jehanne - beide aus demselben Grund. Keiner von beiden hatte gewusst, dass Anne den Hof verlassen hatte.
Edward erfuhr es durch Zufall. Er hatte am Abend, bevor der Hof von Windsor wieder nach London zog, die Königin in ihrem Ankleidezimmer besucht. Bei dieser Gelegenheit war Rose in aller Unschuld - wenn auch mit einem listigen Seitenblick auf den König - vor der Königin in einen Knicks gesunken und hatte sich erkundigt, ob Anne ersetzt werde sollte, in welchem Fall sie, Rose, für ihre Schwester bitten wolle. Die Königin, die mit ihrem Schleier beschäftigt war, hatte ungeduldig abgewinkt und die Stirn gerunzelt. Sie war mit anderen Fragen beschäftigt, beispielsweise damit, warum diese Schwangerschaft so rasche Fortschritte machte und all ihre Kleider so unvorteilhaft spannten.
Den König
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