Der Eid der Heilerin
habe mit dem König eine Angelegenheit zu besprechen, die von größter Bedeutung für die Sicherheit des Königreichs sei.
Der versiegelte Brief stammte von Anne. Sie teilte Edward darin ihre Entscheidung mit, den Schutz der Kirche zu suchen, weil sie ihm nicht traue. Ihr Ton war schlicht und direkt, und sie äußerte weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung. Es war der Brief einer Prinzessin an ihresgleichen. Sie sprach ihn als »Edward von Gottes Gnaden, König von England« an und unterzeichnete mit »Anne de Bohun von Gottes Gnaden, Tochter von Henry VI., einstiger König von England«. Sie erinnerte daran, dass Beweise für ihre Herkunft existierten und ihm vorgelegt werden würden, und sie verpflichtete ihn bei seinem Eid als Christ und König, Mathew, Lady Margaret und Jehanne gut zu behandeln, während sie selbst um Gottes Führung für ihr weiteres Tun beten wolle.
Es war ein meisterhaftes Schreiben, das keine Forderungen, sondern lediglich Feststellungen über die Pflicht eines Königs enthielt, jedem seiner von Gott befohlenen Untertanen gleichermaßen Gnade angedeihen zu lassen. Der Handschuh war geworfen.
Wortlos reichte der König die Briefe an William weiter, dessen Gesicht abwechselnd weiß und rot wurde, als er sie las.
»Ihr müsst mit ihr sprechen, William. Wenn sie ihre Zuflucht nicht verlässt ... nun, dann muss etwas geschehen.« Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Sein Ton ließ keinen Irrtum zu. Sie musste dem König gehorchen, oder der Schutz der Kirche würde gewaltsam gebrochen werden. Trotz seiner verächtlichen Haltung gegenüber der Kirche bekreuzigte sich William eilig. Das wäre Gotteslästerung.
In der Jerusalemkammer versuchte Anne unterdessen, sich in stille Gebete zu versenken, als der Diener des Abts, Bruder Walter, einen Besucher ankündigte. Sie klappte das kleine Stundenbuch zu, das der Abt ihr geliehen hatte, erhob sich vom Gebetsstuhl und erwartete in ruhiger Haltung William Hastings. Hinter den Fenstern des schönen Empfangszimmers fiel der Schnee in dicken Flocken, und an den Scheiben blühten Eisblumen, doch der niedrige Raum selbst war wohlig warm.
William hatte Anne seit mehreren Wochen, seit den Weihnachtsfeierlichkeiten, um genau zu sein, nicht mehr gesehen. Er staunte, wie grundlegend sechs Wochen das Leben eines Menschen verändern konnten. Bei ihrer letzten Begegnung war sie eine Kammerjungfer gewesen, die der König begehrte. Nun stand sie vor ihm, beherrscht und elegant, in zurückhaltenden, dunkelblauen Samt gekleidet, wie es sich für eine Königstochter gebührte.
»Lord William, es geht Euch gut, hoffe ich.« Selbst ihre Stimme hatte sich verändert. Wie war es möglich, dass ein siebzehnjähriges Mädchen mit solcher Entschiedenheit und natürlichen Autorität sprechen konnte? Nervös riss er seinen Hut vom Kopf und verneigte sich tief, um sein Unbehagen zu verbergen.
»Danke, Mistress. Sehr gut.« Sie setzte sich, als wäre es die natürlichste Sache der Welt - und wieder war er verblüfft. Er war der Großkämmerer Englands und stand somit über beinahe allen Mitgliedern des Hofs, außer dem König und seiner Familie - und den Bischöfen natürlich. Gewöhnlich warteten die anderen, bis er Platz genommen hatte. Blitzte in ihren Augen etwa der Schalk auf, als sie ihn mit einer Geste aufforderte, sich auf einen Stuhl zu setzen, der ein klein wenig niedriger war als ihr eigener?
»Kommt Ihr vom König?« Ihre Stimme klang ruhig, als sie mit einer Hand die Falten ihres Kleides glatt strich, so dass der Glanz des üppigen Tuchs sich im Feuerschein brach.
Ihre Direktheit ließ ihm keine Ausflucht. »Ja, Mistress. Ich bringe Euch dies hier.« Er hätte aufstehen müssen, um ihr den Brief zu geben, da sie keinerlei Anstalten machte, sich selbst zu erheben, um ihn entgegenzunehmen. »Ich werde es beizeiten lesen. Darf ich Euch Glühwein anbieten, Lord William? Der Abt hat einen ausgezeichneten Weinkeller. In dieser Abtei lässt es sich gut leben ...«
»Danke. Das ist sehr freundlich - es ist kalt heute.«
Anne griff nach einer kleinen Glocke und läutete, und noch bevor der letzte Ton verklungen war, eilte Bruder Walter herbei. Er war entzückt, diesem schönen, geheimnisvollen Gast des Abts dienen zu dürfen.
»Bruder Walter, bitte bringt Glühwein für den Obersten Kammerherrn. Und bittet Deborah, mir hier zu Diensten zu sein.« Eine nachdenkliche Stille folgte dem Abgang des Mönches. Anne starrte in die Flammen und machte keinen
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