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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Posie Graeme-evans
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zwischen seinem eigennützigen Interesse, dem König zu dienen, und seinem Verlangen nach dem Mädchen. Denn wo stand geschrieben, dass ein Mann alles und andere, die mit viel größeren natürlichen Gaben ausgestattet waren, gar nichts bekommen sollten?
    Gewiss, während seines stetigen gesellschaftlichen Aufstiegs hatte er sich bis zu dieser Stunde damit abgefunden, all seine Bedürfnisse denen des Königs unterzuordnen. Mit seiner taktvollen, heiteren Unterwürfigkeit war er weit gekommen, sehr weit sogar, und er konnte es noch weiter bringen, wenn er dem König von Nutzen war. Frauen waren für ihn während seines steilen Aufstiegs lediglich lästiges Beiwerk gewesen, ein flüchtiges Mittel, seine Lust zu stillen. Deshalb hatte er ungeachtet seiner Gefühle Anne wieder an den Hof zurückgebracht - für den König und zu seinem eigenen Vorteil. Doch als er wie versprochen Anne zum König gebracht und gehorsam draußen vor der Tür gewartet hatte, während drinnen Edward, wie er annahm, sich über das Mädchen hermachte, hatte er sich in seiner seit langem verkümmerten Liebesfähigkeit verletzt gefühlt. Gequält hatte er an den dicken Mauern gelauscht, ob das Mädchen sich dem König hingab. Jener schreckliche Augenblick aber, als der König sie als Verräterin bezeichnete, und die Verachtung in ihren Augen, als sie begriff, dass Moss derjenige war, der sie verraten hatte, war noch viel schlimmer gewesen - reines Salz in der Wunde.
    Unwillkürlich hatte Moss seinen Einsatz in Schwindel erregende Höhen getrieben. Das begriff er nun, da Anne ihm gesagt hatte, wer sie in Wirklichkeit war. Und er begriff auch, dass das, was er begonnen hatte, sie alle in den Abgrund reißen konnte, wenn Anne nicht floh.
    Dann erklärte ihm Anne, was zu tun war ...
    Es war sehr spät, und der neue Abt von Westminster Abbey, Doktor John Millington, war nicht gerade erfreut, als ein Laienbruder ihn mitten in der kalten Winternacht weckte, weil ein Beamter des Hofs, ein gewisser Doktor Moss, ihn zu sprechen wünschte und sich nicht abweisen ließ.
    Im Kamin der Jerusalemkammer schwelte noch ein Feuer, während die übrigen Gemächer des Abts eiskalt waren. Er ließ Holz nachlegen und überlegte unterdessen, was der unerwartete Besucher von ihm wollen könnte. Er kannte Doktor Moss und wusste, dass er hoch in der Gunst der Königin stand und das Vertrauen des Königs besaß. Aus diesem Grund hatte er sich einverstanden erklärt, ihn zu empfangen, doch was ihn dann erwartete, hätte er sich niemals träumen lassen.
    Doktor Moss rieb sich übermüdet die Augen und sammelte Kraft für das, was getan werden musste.
    »Lord, glaubt Ihr an Schicksal?«, fragte er.
    Millington verbarg seine Verwunderung. »Wir alle liegen in Gottes Händen, Doktor Moss. Er allein kennt unsere Wege. Doch, ja, ich glaube, dass unsere Wege vorgezeichnet sind.«
    Moss erhob sich, ging zum Feuer und bedachte seine nächsten Worte. »Nun denn, ich glaube, das Schicksal hat mich heute Nacht hierher geführt, denn mir sind Dinge bekannt, die eine unsagbar schwere Bürde darstellen, und was sonst kann dies sein als das Schicksal? Ich bin nur ein unbedeutender Mann, aber ich stehe hier, weil ich um den Schutz der Kirche für die Tochter des einstigen Königs ersuche.«
    John Millington glaubte, er hätte sich verhört. »Tochter, sagtet Ihr?«
    Moss nickte, und nur die Verzweiflung in seinem Blick überzeugte den Abt davon, dass er richtig gehört hatte. Dennoch sollte es lange dauern, bis John Millington Moss über alle Fakten im Hinblick auf Anne ausgefragt hatte. Als er von den gestohlenen Briefen erfuhr, bestand er sogar darauf, mit Moss in die Krypta zu gehen. Dort war natürlich keine Spur der Briefe zu finden und auch keine Anzeichen, dass die großen Truhen aufgebrochen worden waren. Da Moss mit seinem Besuch jedoch sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte und so überzeugend von der Identität des Mädchens sprach, willigte der Abt schließlich ein, ihr in der Abtei Zuflucht zu gewähren, bis die Angelegenheit aufgeklärt war. Und es stellte sich auch die Frage, was mit Doktor Moss geschehen sollte, wenn Edward herausfand, welche Rolle er bei all den Ereignissen spielte.
    Kurz vor Sonnenaufgang schlichen Anne und Deborah mit Doktor Moss aus dem Palast und eilten zu Fuß zu dem mächtigen, dunklen Gemäuer der Abteikirche. Der Abt hatte angeordnet, Anne nicht im Gästehaus, sondern in seinen eigenen Gemächern unterzubringen. Diskretion war nur begrenzt

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