Der Eid der Heilerin
junge Frau fuhr zusammen. »Ich auch«, fügte sie eilig hinzu.
Deborah runzelte die Stirn. »Du hast den König angesehen.«
Anne errötete. »Sie sehen beide gut aus.« Es gelang ihr, diese Bemerkung wie beiläufig zu machen, doch in Wirklichkeit war sie betroffen, weil Deborah Recht hatte - sie hatte tatsächlich Edward angesehen, hatte die Augen nicht von seinem Gesicht und seiner Gestalt lösen können und die ganze Zeit an jenen Moment in der Abtei gedacht, als er zu ihr emporgesehen hatte. Närrische Träumereien. Ungeduldig schüttelte sie den Kopf und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was Mathew zu den Bettlern sagte. Was jedoch nicht ganz einfach war, denn der scharfe Wind, der vom Fluss herüberblies, trug die Worte davon.
Deborah beließ es bei ihrer Bemerkung. Anne war noch sehr jung, auch wenn sie der Verantwortung der vergangenen Monate gewachsen gewesen war. Doch diese Situation brachte ein Problem mit sich, das Deborah mit großer Sorge erfüllte. Auch mit beinahe fünfzig Jahren wusste sie, wie schnell sich junge Mädchen verliebten. Doch der König war ein gef ä hrliches Objekt für die Zuneigung eines jungen Dings. Seine Anfälligkeit für weibliche Reize war berüchtigt, auch wenn er erst kürzlich geheiratet hatte. Es wäre eine Tragödie, wenn Anne nur eine seiner zahlreichen Geliebten würde, ein schreckliches Schicksal, wenn im Hintergrund keine mächtige Familie stand, die sie schützte.
Deborah schloss einen Moment lang die Augen und betete um Führung für das Mädchen. Vielleicht erhielt sie ein Zeichen, dass alles gut werden würde. Ihre Hände schmerzten vor Kälte, und ausnahmsweise ließ sie sich von dem Lärm der Umstehenden ablenken. Als Anne sie ungeduldig am Ärmel zupfte, schlug sie seufzend wieder die Augen auf.
»Ich muss zu Lady Margaret - sie wird sich wundern, wo ich bleibe. Kannst du heute Abend nach Blessing House kommen? Ich muss dir eine Menge erzählen. Du hattest mit so vielem Recht! Mistress Jassy sieht es nicht gern, wenn wir abends Besuch bekommen. Deshalb wäre es am besten, wenn du durch die Hoftür in die Küche kämst. Maitre Gilles wird nichts dagegen haben und sie offen lassen, wenn ich ihm vorher Bescheid sage.«
Deborah nickte, und das Mädchen küsste sie auf die Wangen. Sie wollte gerade davoneilen, als die Ziehmutter sie am Ärmel festhielt, ihr in die Augen sah und sie sanft auf die Brauen küsste. »Und jetzt weg mit dir.« Anne schlang noch einmal ihre Arme um Deborah und verschwand in der Menge.
»Hast du mich schon vergessen?« Eine kleine, gepflegte Hand berührte Piers an der Schulter. Er wirbelte herum und erblickte Aveline, die lächelnd zu ihm aufsah. Er lachte fröhlich und ließ aus Gewohnheit seine Augen über ihren Körper wandern. Sie lächelte kokett, doch als sie sah, wie seine Aufmerksamkeit sich einer Traube von Höflingen zuwandte, die sich um den König geschart hatte, verhärteten sich ihre Züge. Unter ihnen befanden sich auch sein Vater, seine Stiefmutter und ... Anne, die sich endlich wieder bis zu Lady Margaret hatte durchdrängen können. Sie stand hinter ihrer Herrin und hob die Schleppe des bildschönen Gewands aus dem Schmutz. Aveline erbleichte vor Wut, und Piers erschrak über den zornigen Ausdruck ihrer Augen. Eilig senkte sie den Blick. »Ich werde Euch nicht länger belästigen, Master«, sagte sie tonlos und eilte davon.
Piers lachte. Nun, vielleicht hatte sie endlich begriffen, woher der Wind wehte - Eifersucht hatte bei Frauen oft eine stimulierende Wirkung. Womöglich würde sie sich noch mehr anstrengen, ihm gefällig zu sein. Manchmal war Aveline auf eine anstrengende Weise eigensinnig. Natürlich wollte er sich gern weiterhin mit ihr amüsieren, aber wenn sie wegen Anne Schwierigkeiten machte, konnte er jederzeit mit Jassy sprechen und dafür sorgen, dass sie entlassen wurde. Die Dienerschaft wusste um ihre Liebelei, und sie war, wie er von seinem Leibdiener erfahren hatte, nicht besonders beliebt, weil sie sich den anderen gegenüber als Herrin aufspielte. Anne dagegen hatte unzählige Anhänger, unter anderem auch Jassy, vor allem seit der wundersamen Genesung seiner Stiefmutter, die hauptsächlich der Wirkung der Kräutertees und des Blutpuddings zugesprochen wurde, die Anne für sie zubereitet hatte. Er würde sie im Auge behalten müssen, denn er wollte nicht, dass andere sie vor ihm bekämen, schon gar nicht irgendein lüsternen Stallbursche oder Küchenknecht.
»Aus dem Weg, Platz da,
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