Der Eid der Heilerin
Kirchenschiff, die die Ankunft des Königs ankündigte.
Als Erstes betrat eine Gruppe junger Männer die Kirche, alle in der gleichen königlichen Uniform. Ihre blauen Röcke waren mit den Leoparden von Anjou und den Lilien von Frankreich bestickt, und ihre Kniehosen hatten ein blaues und ein weißes Bein. Anne kicherte beim Gedanken, dass ihnen kalt sein musste, denn die Röcke waren reichlich kurz. Die Männer gehörten dem Hofstaat an, trugen jedoch keine Waffen, da sie sich in einer Kirche befanden.
Als Nächstes folgten die Beamten des Hofes, mindestens zweihundert an der Zahl. Sie trugen Amtsketten um den Hals und waren mit langen, dunklen Roben bekleidet, die über den Steinboden der Abtei schleiften. Dann kamen die Magnaten, die zum demnächst stattfindenden Weihnachtshof in die Stadt gekommen waren. Die meisten waren finster dreinblickende, wettergegerbte Männer in teuren Gewändern, geübte Kämpfer, unter denen sich nur wenige Zartbesaitete befanden. Und dann kam endlich der König mit seinem Gefolge.
König Edward IV. war leicht zu erkennen. Einmal an seiner Größe - er war mindestens einen halben Kopf größer als der Mann, der neben ihm ging -, aber auch an seiner prachtvollen Kleidung. Er trug eine schwarzsamtene, mit silbernen Leoparden bestickte Cotehardie, darüber einen silbern einge- fassten, langen schwarzen Mantel. Seine langen, muskulösen Beine waren ebenfalls in schwarzen Samt gehüllt, und unter seinem linken Knie war deutlich das Band der Ritter des Hosenbandordens zu erkennen. Auf seinem rotgoldenen Haar trug er lediglich einen schlichten Goldreif.
Der König war gerade erst dreiundzwanzig Jahre alt, ein junger Mann mit einem offenen, einnehmen Gesicht und gesunden, weißen Zähnen. Als er gemessen zum Altar schritt, glitzerten und tanzten die Juwelen im Licht der Kerzen. Offenbar freute er sich, mitten unter seinen Untertanen zu sein - sie drängten sich so dicht um ihn, dass er fast eins mit ihnen wurde. Sie liebten ihn, weil er ihnen so nahe war, jubelten, stampften mit den Füßen und hörten zur Empörung der Höflinge und Geistlichen nicht auf zu klatschen.
Anne war beeindruckt von der Begeisterung der Menschen um sie herum. Die Mauern schienen wie eine alte Glocke zu vibrieren und erfassten ihren Körper. Und ohne sich dessen bewusst zu sein, rief auch sie den Namen des Königs, als er unter ihr vorbeikam.
Ihre Stimme durchschnitt das tiefe Dröhnen der Menge. Der König sah hoch, um nach der Quelle dieser Stimme zu suchen und erblickte einen Engel in einem grün schimmernden Gewand, der Farbe aufkeimender Liebe. Der Festzug kam ins Stocken, und ihre Blicke trafen sich. Die Intensität dieses Augenblicks war wie ein Schock. Anne verharrte vollkommen reglos, ihre Augen hefteten sich auf ihn, während alle Geräusche um sie in den Hintergrund traten ... Dann löste sich die Spannung, der König lächelte, winkte und setzte seinen Weg durch die Menge fort.
»Anne. Anne!« Unvermittelt wurde das Mädchen aus seinen Träumen gerissen. »Hier unten - hier!«
»Deborah!« Ihre Ziehmutter stand genau unter ihr. Sie trug ihren alten, roten Mantel und breitete lachend die Arme aus.
»Nein, bleib, wo du bist, mein Liebling. Ich komme zu dir hinauf.« Und das tat sie auch. Ihre flinken Bewegungen und die Kraft ihrer Arme täuschten über ihr Alter hinweg, das erst sichtbar wurde, als sie ihre Kapuze abstreifte.
»Deborah! Ich hatte solche Sehnsucht nach dir, aber es war mir kaum möglich, dir eine Nachricht zu schicken, weil Aveline mich ständig beobachtet und ich so viel zu tun hatte.«
»Ich weiß doch, mein Herz, deshalb bin ich gekommen! Und nach der Messe wirst du mir alles erzählen.«
Unter ihnen begann ein allgemeines Füßescharren und Plätzerücken. Deborah und Anne waren zu weit vom Hochaltar entfernt, um viel von der Messe zu hören. Aber sie sahen den Abt von Westminster, der von seinen Mönchen und Messdienern umgeben war und darauf wartete, mit der Messe beginnen zu können. Er wandte sich König Edward zu und erhob die Hände zum Segen, dann drehte er sich zum Altar mit dem großen Kreuz um und hob zu den vertrauten Worten »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti...« an.
Anne entdeckte ihren Herrn und Lady Margaret. Sie knieten unmittelbar hinter den Höflingen, die sich um den König geschart hatten. Ehrfürchtig betrachtete sie den verklärten Gesichtsausdruck ihrer Herrin. Sie sah aus wie ein neu geborenes Kind.
Deborah berührte die Hand des
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