Der Eid der Heilerin
zurück sei, sagte sie.
Müde schleppte sich Anne in die Empfangshalle hinunter, wo die Tische für das Abendessen gedeckt wurden. Sie wusste, dass sie in der Küche reichlich zu essen finden würde, scheute sich aber, dorthin zu gehen. Sie fasste sich ans Mieder und biss die Zähne zusammen, als ihr einfiel, wie Piers den zarten Stoff zerrissen hatte.
Sie betrachtete das geschäftige Treiben und winkte einigen Mägden zu, die sie besonders mochte. Melly, die im großen Kamin Asche zusammenkehrte, damit die Männer frisches Holz auflegen konnten, winkte munter zurück. Melly hatte die Aufregungen dieses Tages in vollen Zügen genossen und freute sich nun auf die leckeren Reste vom Fest.
Anne war so müde, dass sie sich auf eine Bank am Feuer sinken ließ und die Augen schloss. Die Ereignisse des Tages tanzten durch ihre Gedanken, und sie fragte sich, ob nicht alles nur ein Traum gewesen war. Hatte der König sie tatsächlich so innig angesehen, oder war alles nur Einbildung gewesen? Und hatte Piers wirklich etwas mit Aveline? Gewöhnlich ging sie ihm aus dem Weg, wenn er ihr halb im Scherz nachstellte, aber er hatte sie nie zuvor ernsthaft belästigt. Sie sehnte sich danach, endlich Deborah zu sehen und sie um Rat zu fragen.
Langsam rückten die Geräusche aus der Halle immer weiter in die Ferne, und Anne fielen die Augen zu. Irgendjemand rüttelte sie an der Schulter. Es war John, Piers' Leibdiener. »Mein Herr möchte dich sehen. Sofort.«
Entsetzt sah Anne den Knaben an. »Aber, John, das geht nicht. Ich würde große Schwierigkeiten bekommen.« Sie konnte ihre Angst nicht verbergen, und der Knabe trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und starrte zu Boden.
»Er hat gesagt, wenn du nicht kommst, spricht er noch heute Abend mit seinem Vater über deine ungenügenden Leistungen im Hause.« Der arme Knabe hasste sich für diese Worte, duldete aber keinen Widerspruch.
Anne erhob sich mühsam und rang um ihre Fassung, doch die Angst fraß sich in ihre Eingeweide. Die steinerne Treppenflucht, die von der Halle zu den oberen Fluren führte, lag in Dunkelheit. So langsam wie möglich folgte sie John, wobei die Röcke ihres hübschen grünen Kleides über das Binsenkraut schleiften. Einige Minuten später - viel zu schnell - hob John die Hand, um an Piers'Tür zu klopfen.
Sie packte seine Faust und flüsterte eindringlich: »John, wenn du mich hier eingelassen hast, geh so schnell du kannst zu Lady Margaret und sag ihr ... sag ihr, dass Master Piers mich gebeten hat, mit ihm zu sprechen. Und bitte sag ihr, dass das nicht von mir ausgegangen ist und dass ich dankbar wäre, wenn Aveline mich abholen könnte - sofort!«
Nervös schüttelte der Knabe den Kopf. »Das kann ich nicht machen, Mistress Anne. Er würde mich schlagen und auf die Straße werfen.«
Das Mädchen starrte ihn in höchster Verzweiflung an. Er hatte Recht - sie konnte nicht auf seine Hilfe zählen, weil Piers ihn für diese Untreue mit Sicherheit hinauswerfen würde. Also ließ sie Johns Arm los. Der Knabe betrachtete sie mit einer Mischung aus Scham und Schuld, dann klopfte er an die Tür.
»Herein.«
John öffnete die Tür, führte Anne mit einer flüchtigen Verbeugung hinein und zog sich eilig wieder zurück.
Anne war allein mit Piers Cuttifer. Draußen war es dunkel geworden. Das Zimmer war warm, und das Feuer und die teuren, dicken Wachskerzen verbreiteten ein freundliches Licht. Piers saß auf einem thronähnlichen Stuhl neben der Feuerstelle und beobachtete sie stumm. Sie stand an der Tür und unterdrückte ein Zähneklappern. »Komm her.«
Sie rührte sich nicht.
»Ich sagte, du sollst herkommen, Anne.« Diesmal lag ein drohender Unterton in seiner Stimme.
Wieder schwieg sie, zwang sich jedoch, auf ihn zuzugehen, wobei sie beinahe über einen dicken Teppich gestolpert wäre.
»Na also, komm her und stell dich hier hin, damit ich dich betrachten kann.«
Sie stand etwa in Armeslänge von ihm entfernt.
»Weißt du, dass ich von dir enttäuscht bin?«
»Und ich von Euch, Herr«, erwiderte sie scharf.
»Oho, das kleine Ding hat eine messerscharfe Zunge. Ein temperamentvolles Gemüt ist mir recht, aber zu viel Temperament muss gebändigt werden. Knie nieder. Los!« Seine seidenweiche Stimme hatte sich in ein Bellen verwandelt, und er fingerte an der Peitsche, die auf seinen Knien lag.
Das Pochen in Annes Brust war so laut, dass sie sicher war, er müsste es hören. Trotzdem kniete sie wortlos nieder. Sie wusste, dass er ihr
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