Der Eid der Heilerin
Heiligen mögen mich arme Sünderin beschützen und hüten!«
Lady Margaret war überrascht von Annes inbrünstigen Worten, dachte jedoch, dass sie immer noch mit dem Vorfall nach dem Fest beschäftigt war, was auch immer es gewesen sein mochte. »Komm, Kind, bereite mir einen deiner Heiltränke zu und lies mir aus dem Stundenbuch des Königs vor.«
Kurze Zeit später betrat Master Mathew, von seiner Ehefrau und deren jüngster Zofe unbemerkt, das Dachgemach. Es war ein bezauberndes Bild, das sich ihm dort bot: Seine Frau lag in ihrem Bett, ihr Haar war gebürstet und fiel wie bei einem Kind über ihre Schultern, und Anne las ihr aus dem Geschenk des Königs vor, in dessen edelsteinbesetztem Einband sich die züngelnden Flammen des Feuers spiegelten.
Mathew spürte Tränen aufsteigen. Lange hatte er seinen Kummer über die Krankheit seiner Frau unterdrückt und versucht, sie als den Willen Gottes hinzunehmen, und nun, hier, war sie ihm wieder gegeben. Er war ein Mann mäßiger Gelüste, aber er hatte sich lange genug zurückhalten müssen und sehnte sich nun nach körperlicher Nähe. Er wartete, bis Anne die Seite zu Ende gelesen hatte und applaudierte leise.
Margaret wandte den Kopf und sah ihn im Türrahmen stehen. »Mein Mann! Anne, schenk deinem Herrn Wein ein.«
Als das Mädchen Mathew den Becher gereicht hatte, prostete er zuerst seiner Frau, dann Anne zu, ehe er einen tiefen Schluck nahm, zum Bett trat und Margaret auf die Wange küsste.
Lady Margaret sah ihrem Mann in die Augen und nahm sanft seine Hand, als sie seine Absicht erkannte. »Anne, geh eine Weile in die Küche hinunter. Ich möchte mit meinem Mann allein sein. Bitte sag Aveline, dass der Master und ich später speisen werden«, sagte sie, ohne den Blick von ihm zu nehmen.
Anne machte einen Knicks und ging rückwärts zur Tür. Vom Treppenhaus aus sah sie, wie Mathew zärtlich seine Hand auf Lady Margarets Brust legte und sie mit liebevollem Verlangen zu ihm aufsah. Das Mädchen schloss die Tür. Sie fühlte sich einsam und verlassen. Solche Zärtlichkeit, solches Vertrauen sollten zwischen Mann und Frau herrschen. Doch sie kannte nur Angst und Qual. Und Schuld. Eilig floh sie die Stufen zur Küche hinunter, wo sie sich bis zu ihrem Treffen mit Deborah in einer dunklen, warmen Ecke verkroch.
Hewlett-Packard
Kapitel 7
Es war spät geworden. Deborah und Anne hörten die Mitternachtsglocken von der nahen Abtei schlagen.
Wie vereinbart war Deborah, nachdem die Dienstboten sich zur Ruhe begeben hatten, durch die Hintertür in die Küche gekommen, wo Anne auf einer Bank neben den mit Asche bedeckten Feuerstellen auf sie wartete. Nach dem Zusammenstoß mit Piers befand sich Anne in einem Zustand fiebriger Erschöpfung. Seine Ubergriffe spukten noch immer wie Albträume durch ihren Kopf. Nachdem Mathew gegangen war, hatte sie ihrer Herrin bei den Vorbereitungen für die Nacht geholfen. Dann hatte sie das zerrissene grüne Kleid - das sie nie wieder tragen wollte - gegen ihren Hausrock getauscht und sich in die Küche begeben, wo sie ein spätes Abendessen einnahm und auf ihre Ziehmutter wartete.
Anne wollte bei ihrem Wiedersehen mit Deborah keinesfalls neugierigen Blicken ausgesetzt sein, auch nicht von ihren Freundinnen. Deshalb führte sie Deborah durch den prasselnden Regen über den aufgeweichten Innenhof und schlüpften über eine neben dem Waschhaus gelegene Treppe in den Winterkeller, wo das Wurzelgemüse gelagert wurde. Dies war eine der wenigen ungestörten Ecken in Blessing House. Anne tastete nach einer Laterne, die, wie sie wusste, auf einem steinernen Vorsprung stand. Einen Feuerstein hatte sie mitgebracht, und obwohl ihre Finger steif vor Kälte waren, gelang es ihr, einen Funken zu schlagen und dann noch einen, bis der mit Talg getränkte Docht brannte. Die kleine, unstete Lichtpf ü tze verscheuchte die Dunkelheit von den mit Vorräten des Sommers gefüllten Fässern und Regalen.
Deborah breitete die Arme aus, und Anne stürzte mit einem Aufschluchzen zu ihr. Zärtlich wiegte die Ziehmutter das weinende Kind und murmelte beruhigende Worte. Nach einer Weile versiegten die Tränen, und sie wischte Annes heiße Wangen mit dem Saum ihres Leinenkleides ab. »Ich möchte dir gerne helfen, Kind. Sag mir, was geschehen ist.«
Bebend zog das Mädchen die Luft ein und begann stammelnd nach Worten zu suchen, um ihre widersprüchlichen Gefühle zu beschreiben, die sie seit dem Fest empfand. Deborahs Gesicht wurde immer ernster, doch sie
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