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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Posie Graeme-evans
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unterbrach ihre Ziehtochter nicht, die von ihren Qualen, ihrer Verwirrung und ihrer Angst berichtete.
    Schließlich schwieg das Mädchen und schmiegte sich wohlig in die Arme ihrer Ziehmutter.
    Deborah sah auf das erschöpfte Mädchen hinunter und seufzte. »Komm, es ist spät geworden. Wir müssen Acht geben, dass niemand dich vermisst.«
    Sie half dem Mädchen auf die Füße. »Zeit zum Schlafen - und morgen ist ein neuer Tag.«
    »Aber was soll ich tun, Deborah?«
    Die Frau sah Anne an und lächelte leise. »Tun? Eine Menge. Zum Beispiel zur Mutter Gottes beten, deren Geburt wir heute feiern. Und geh dem König aus dem Weg, falls du ihn wiedersiehst.« Sie sah den Anflug von Widerspruch in Annes Augen aufflackern und hob die Hand. »Mädchen, er ist zu mächtig für dich. Wenn du mir nicht glaubst, lies mit mir in den Flammen ... Vielleicht kann Aine uns helfen - bitte sie um Erkenntnis.«
    Anne zitterte. Oft genug hatte sie miterlebt, wie Deborah Kerzen benutzte, wenn sie sich konzentrieren musste, um in die Zukunft zu »sehen« oder um Führung zu bitten. Wenn sie heute Nacht Aine anrufen wollte, die alte Göttin von jenseits des Meeres im Westen, zu der das gemeine Volk um Fruchtbarkeit oder Liebesglück betete, gestand sie ein, dass
    Annes Probleme ernster Natur waren und höhere Hilfe benötigten, als sie selbst geben konnte.
    Als Deborah vorsichtig die Hornscheibe der Laterne zur Seite schob, so dass die Talgkerze sichtbar wurde, holte Anne zitternd Luft. Die Göttin ließ sich nicht ohne weiteres rufen, und Anne hatte noch nie zu ihr gebetet. »Schau tief in das Licht, Kind. Hauche dem flackernden Licht deinen Atem ein ...bitte Aine, dir zu zeigen, was du wissen musst.« Die Stimme der Ziehmutter klang warm, leise und beruhigend. Anne hatte diese Stimme schon als Kind gehört, wenn Deborah bei zunehmendem Mond nachts zu ihren Pflanzen sang, damit sie groß und stark würden. Nun versetzte sie der vertraute Klang in die Geborgenheit vergangener Tage zurück, und sie entspannte sich.
    »Aine, Aine, Aine ... komm zu mir. Hilf mir ... hilf mir zu sehen ... hilf mir zu wissen.« Es war ein uraltes, schlichtes Gebet, und als Anne es zuerst drei Mal, dann sieben Mal flüsterte und dabei tief in die Kerzenflamme blickte, versank sie tiefer und tiefer in der leuchtenden Dunkelheit. Und dann sah sie Bilder - scharf umrissene, kleine Bilder wie aus einem Stundenbuch - und hörte Geräusche ...
    Zuerst sah sie die Hände des Königs, die ihre Hände hielten, sie erkannte sein Gesicht, das auf sie herablächelte, doch dann wandte er sich ab und küsste die Hand einer vornehmen, blonden Frau, deren Gesicht sie nicht sehen konnte. Langsam gingen die beiden davon. Dann sah sie Piers und Aveline und hörte das Weinen einer Frau, ein herzzerreißendes, verzweifeltes Schluchzen, ein Schluchzen aus tiefster Verletzung...
    Eine kalte Welle des Entsetzens und der Trauer ergriff sie, und sie stieß einen angsterfüllten Klagelaut aus. Mit einem Mal spürte sie Deborahs Arme um sich und befand sich wieder im kalten Keller. Mühsam versuchte sie zu erklären, was sie gesehen hatte, doch das Gefühl von Verlust und Furcht war so gewaltig, dass es schmerzte.
    Deborah hielt sie in ihren Armen und strich ihr sanft über den Kopf. Nach einer Weile entspannte sich Anne, die quälende Angst verflog. Deborah sprach ruhig über das, was geschehen musste.
    »Denk genau darüber nach, was du gesehen hast. Es hat mit Trauer und Sorgen zu tun. Aine hat dir eine Warnung gesandt. Der König hat sich von dir abgewandt, das ist vielleicht ein Segen. Versuch nicht, dein Schicksal zu sehen, wenn ich nicht bei dir bin, aber du kannst die Göttin um Hilfe bitten, wenn du Kraft benötigst. Und du kannst auch zu unserer lieben Frau beten. Beide werden dir weise Ratschläge erteilen, wenn du sie brauchst. Aber Anne, sieh zu, dass du nie allein bist, wenn du durch das Haus gehst...« Sie sah Annes panischen Blick. »Doch nun brauchst du erst einmal Schlaf. Das ist das Wichtigste. Morgen früh findest du mich im Gasthof Green Tabor, unten im East Chepe. Ich werde dort noch zwei Nächte bleiben. Vielleicht kann ich mit deiner Herrin über Mathew Cuttifers Sohn sprechen, falls du dich nicht dazu in der Lage fühlst - sie ist eine gute und vernünftige Frau.«
    Anne, die mit einem Mal unendlich müde war, wirkte dankbar.
    Und doch hatte sich etwas verändert - sie fühlte sich gestärkt. Aines Kraft und Marias Erbarmen sollten ihr bei dem, was kommen würde,

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