Der Eid der Heilerin
hast, Aveline.«
»Oh, Sir, Madam, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Du wirst schon einen Anfang finden, Mädchen.« Der drohende Unterton in Mathews Stimme zeigte augenblicklich Wirkung.
»Er hat mir Gewalt angetan, Sir, und ich hatte Angst. Er hat mich zu Dingen gezwungen ... und geschworen, ich würde aus der Stadt gepeitscht werden, wenn ich irgendeiner Menschenseele davon erzählte. Aber jetzt...«
Wieder liefen Tränen über ihr hübsches Gesicht. Mathew bemerkte, dass sie zu jenen glücklichen Frauen gehörte, die das Weinen nicht entstellte - eine höchst nützliche Eigenschaft.
»Und nun, Aveline?« Margaret sprach freundlich, aber bestimmt.
»Madam, ich bin seit mehr als vier Monaten überfällig.« Die Worte kamen in einem entsetzten Flüstern.
Mathew .empfand eine Spur von Mitleid für sie. Er hatte sie nie besonders gemocht, aber Aveline war im Alter von elf oder zwölf mit seiner Frau ins Haus gekommen, und Margaret hatte sie stets geschätzt. Er hatte nie Anlass gehabt, Aveline zu tadeln, doch das spielte jetzt keine Rolle.
»Wo ist mein Sohn?«
Aveline sah entsetzt auf, und Margaret beruhigte sie eilig. »Shhh, Kind. Er wird dir nichts tun. Mathew, du musst mit ihm sprechen.«
»Sir und Madam, ich habe ihm nichts gesagt. Vielleicht weigert er sich, die Vaterschaft anzuerkennen.« Ihre Stimme klang so hoffnungslos, dass Mathew für den Bruchteil einer Sekunde Erleichterung verspürte. Ja, das Mädchen wollte sich nur seinen Sohn angeln - vielleicht, ja, sogar sehr wahrscheinlich, war das Kind nicht einmal von Piers.
Piers hielt sich in den Stallungen von Blessing House auf und führte auf Geheiß seines Vaters ein ermüdendes und ergebnisloses Gespräch mit Perkin Wye, dem Stallmeister, um herauszufinden, warum die Futterkosten für den Londoner Betrieb in jüngster Zeit so gestiegen waren. Mathew hatte den Verdacht, dass seine Diener in London auf seine Kosten Geschäfte machten, und das Gespräch mit dem altgedienten Stallmeister sollte Aufklärung bringen.
Die Stallknechte beobachteten die Unterhaltung mit verhohlenem Interesse. Die meisten von ihnen mochten Piers nicht, freuten sich jedoch, dass Perkin, der ein strenges Regiment führte, endlich einmal das Nachsehen hatte.
»Master Piers, Euer Vater hat immer wieder betont, dass meine Abrechnungen die tadellosesten im Hause sind. Sauber wie der Tag, klar wie das Wasser und für alle durchschaubar!«
»Dennoch hat mein Vater Bedenken und ich ebenso. Da ist zum Beispiel der Preis für die Gerste, die du letzte Woche gekauft hast.«
»Sir, der letzte Sommer war nass, das Getreide ist schon am Halm verfault. Was angeboten wird, ist von schlechter Qualität und teurer denn je zuvor.«
In diesem Augenblick kam Anne auf den Hof gelaufen. Jassy hatte sie und einige andere Dienstboten losgeschickt, Piers zu suchen und ihr keine Zeit gelassen zu protestieren. Als Piers sie erblickte, lächelte er charmant, doch seine Augen waren hart und kalt. Sie sah ihm trotzig ins Gesicht und holte tief Luft, um das Zittern ihrer Stimme unter Kontrolle zu bringen. Dann erklärte sie, seine Mutter und sein Vater erwarteten ihn im Sonnenzimmer.
»Und wirst du meinen Weg erhellen, liebste Anne?«
»Nein, Sir, ich werde an anderer Stelle gebraucht, aber Mistress Jassy sagte, es sei dringend.«
Er runzelte kurz die Stirn, ehe er eine übertriebene Verbeugung vollführte, als wäre sie eine vornehme Dame, die ihm die Gunst ihres Besuchs geschenkt hatte. »Glaub nur nicht, ich würde vergessen, dass wir unser Gespräch noch beenden müssen, Perkin. Ich bin gleich wieder hier«, sagte er im Gehen.
Doch Piers dachte weder an Gerste noch an Anne, als er die Tür zum Turmzimmer öffnete, denn es geschah selten genug, dass er mitten an einem Arbeitstag von seinem Vater und Margaret gerufen wurde. Sein Argwohn war geweckt. Zu Recht, denn der Anblick, der sich ihm beim Betreten des Zimmers bot, hätte von den Fresken der Klosterkirche stammen können. Sein Vater auf einem thronartigen Stuhl, seine Stiefmutter, gefasst und königlich, die Falten ihres Gewands so sorgfältig gelegt, als wären sie aus Marmor gemeißelt, und Aveline neben der Mutter mit züchtig niedergeschlagenen Augen wie -? Wie konnte man sie beschreiben? Er trat näher und sah die Tränenspuren auf ihrem hübschen Gesicht und die weißen Knöchel ihrer verkrampften Hände. In diesem Moment wusste er es - sie sah aus wie Magdalena die Büßerin.
»Aveline. Wiederhole, was du mir und deiner
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