Der Eid der Heilerin
Dienstboten sie so grässlich fanden, denn er hatte sie immer noch als das ungelenke, dünne Mädchen im Gedächtnis, das mit ihm Apfel stehlen ging, und als die junge Frau, die aus ihrer Liebe zu ihm keinen Hehl machte. Manchmal hatte er den Verdacht, dass sie ihn noch immer liebte. Aber er hatte seine Stellung als Sohn des Hauses ihr gegenüber nie ausgenutzt, was ihm, wie er fand, zur Ehre gereichte.
»Nun, Pip, was ist los?«, fragte er etwas sanfter.
»Sir, ich glaube, Lady Margaret möchte Euch wirklich dringend sprechen.« Sie weigerte sich, mehr zu sagen, presste die Lippen zusammen und vermied seinen Blick.
Mit einem Brummen bedeutete er ihr, das Zimmer zu verlassen, und folgte ihr. Die Unterbrechung kam ihm nicht ungelegen, vielleicht bekam er durch die Beschäftigung mit einer trivialen Haushaltsangelegenheit wieder einen klaren Kopf. Während er Jassy folgte, registrierte er zufrieden das geschäftige Treiben und die ruhige Ordnung im Haus. Er freute sich auf den Besuch im Sonnenzimmer seiner Frau, vor allem da sie nun nicht mehr ans Bett gefesselt war. Bald würde sie wieder ganz die Leitung des Haushalts übernehmen, und er konnte sich wie früher ihrer Gesellschaft und ihrer weisen Ratschläge erfreuen. Dafür konnte er seiner Schutzheiligen, der heiligen Mutter Maria, gar nicht genug danken.
Die Atmosphäre im Zimmer seiner Frau war jedoch weit entfernt von der friedlichen Stimmung, die er erwartet hatte. Margaret saß auf ihrem Stuhl vor dem Feuer. Sie trug ein Gewand aus dunklem Samt und hatte eine schlichte Haube aus edlem Leinen auf. Der Stuhl neben ihr war leer. Seine Frau sah so ernst aus, dass sie ihn fast an ein Heiligenbild erinnerte oder an einen Engel, der dem richtenden Gott zur Seite saß. Selten hatte er sie so gesehen und war überrascht, dass ihn ihr Anblick einen Moment lang einschüchterte. Ihre Herkunft war nicht zu verleugnen - sie war in mehr als einer Beziehung die Lady dieses Hauses. Trotzdem war er froh, sie wieder bei blühender Gesundheit zu sehen.
Zu seiner Verwunderung verbeugte er sich und küsste Margaret förmlich die Hand, wie damals, als er als Freier in ihres Vaters Haus kam. Sie beantwortete die Geste mit einem unmerklichen Lächeln und erhob sich, um ihn zu begrüßen.
»Danke, Jassy, du kannst jetzt gehen. Halte dich aber bereit, falls ich dich noch benötigen sollte«, sagte Margaret, worauf die Haushälterin hastig aus dem Zimmer stolperte, was bei einer Ehrfurcht einflößenden, gestandenen Frau wie Jassy ein ungewöhnlicher Anblick war.
»Mein lieber Gemahl, ich habe dich rufen lassen, weil ich bestürzt und besorgt bin.«
»Sprich, Frau«, erwiderte Mathew und setzte sich neben sie. Sie richtete sorgfaltig den Wurf ihres Gewands, während sie nach den richtigen Worten suchte. Mathew wartete geduldig.
»Mathew, ich muss mit dir über deinen Sohn sprechen. Wie es scheint, hat er Aveline verführt, und falls es sich als wahr erweisen sollte, müssen wir uns Gedanken über die Zukunft dieses unglücklichen Mädchens und ihres Kindes machen. Und auch über den Zustand seiner unsterblichen Seele.«
Mathew war ein Mann, der sich gewöhnlich nicht von Gefühlen leiten ließ, aber das war zu viel. Sein heimlicher Neid auf die Jugend seines Sohnes, seine Missbilligung von Piers' ausschweifendem Spielen und Trinken und die nagende Sorge angesichts der jüngsten Nachrichten aus dem Palast ließen ihn außerordentlich zornig reagieren. »Wo ist Piers? Was sagt er dazu?«
Beschwichtigend berührte Margaret, überrascht von seinem heftigen Ausbruch, seinen Arm. »Ich habe zuerst mit dem Mädchen gesprochen. Wir kennen bis jetzt nur ihre Seite. Ich dachte, es wäre das Beste, du sprichst mit Piers, nachdem du sie dir angehört hast.«
Mathew versuchte sich zu fassen, während Margaret zur Kleiderkammer ging und die Tür öffnete. Sie winkte Aveline heraus, die mit gesenktem Blick und ineinander verkrallten Händen das Gemach ihrer Herrin betrat. Margaret nahm wieder neben ihrem Mann Platz.
»Nun, Aveline, wiederhole vor deinem Herrn, was du mir heute Morgen erzählt hast.«
Aveline räusperte sich und öffnete den Mund. Zweimal versuchte sie vergeblich, einen Ton herauszubekommen. Sie brach in Tränen aus und sank zu Boden - ein Bild des Jammers für jeden, der bereit war, sich rühren zu lassen.
Margaret wartete, obwohl ihr bewusst war, dass Mathew seine Ungeduld kaum zügeln konnte. Als das Schluchzen versiegte, sagte sie: »Wir wollen hören, was du zu sagen
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