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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Posie Graeme-evans
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zu ihr gesellt, um sie zu stützen. Doch nun, da das Fest in vollem Gange war, war sie viel zu sehr damit beschäftigt, beim Ausschenken keinen Wein zu verschütten.
    Aveline und Piers, die in der Mitte der Ehrentafel unter einem reich bestickten Baldachin saßen, hatten einander nicht viel zu sagen. Piers starrte mürrisch in seinen Silberkelch, wenn er nicht gerade unverhohlen nach den Brüsten der Frauen an den Tafeln unter ihm schielte, ein Benehmen, das auch unter Mathews Gästen nicht unbemerkt blieb. Aveline führte lobenswerterweise eine rege Konversation mit John Lambert, einem wichtigen Kaufmann und Geschäftspartner von Mathew Cuttifer, der auf dem Stuhl neben ihr saß. Er gehörte zu den Ratsherren der Stadt und fand auch beim König Gehör, was seinen Ehrenplatz auf diesem Fest erklärte.
    Auch Lamberts Tochter Jane, eine stadtbekannte Schönheit, war mit ihrem Mann, dem Kaufmann Master Shore, eingeladen worden. Anne bemerkte, dass Master Shore nicht sehr erfreut aussah über die Blicke, die seine schöne Frau auf sich zog, obwohl diese die Augen bescheiden niedergeschlagen hatte und sich anmutig der schwierigen Aufgabe widmete, beim Verspeisen der Lerchen ihren Schleier nicht in die Soße hängen zu lassen.
    Master Shore war ein einfacher, von Sorgen gezeichneter Mann, der mindestens zehn Jahre älter war als seine Gemahlin, die perfekt dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Da Jane saß, konnte Anne nicht sehen, wie groß sie war, doch unter ihrem eng anliegenden, tief ausgeschnittenen Kleid aus kostbarem, besticktem Satin, zeichneten sich deutlich ihre sinnlichen Kurven ab.
    Zarte, blasse Augenbrauen ließen vermuten, dass Jane blond war, was sich jedoch nur schwer sagen ließ, da ihre hohe Stirn von einem tief sitzenden Hennin bedeckt war, der ihr Haar vollständig verbarg. Ihr strahlender Teint, das perfekte Oval ihres Gesichts, ihr weicher, lieblicher Mund, der eher rosig als rot war, vermittelten das Bild sanfter Anmut, doch wenn sie aufblickte, verliehen große, dunkelblaue Augen ihrem Gesicht ein lebhaftes Aussehen.
    Anne hatte noch nie eine schönere Frau gesehen, trotzdem empfand sie merkwürdigerweise nicht den kleinsten Hauch von Eifersucht. Vielleicht war es die Art, wie Jane lachte, die sie so liebenswert erscheinen ließ.
    »Anne, schenke Master Shore und seiner Frau bitte etwas Wein nach. Mein Mann möchte sein Glas auf Master Lamberts reizende Tochter erheben.«
    Anne fuhr zusammen. Es war ihr beinahe unheimlich, ihre Gedanken von jemand anderem ausgesprochen zu hören. Eilig leistete sie Lady Margarets Anweisung Folge, und als sie den ehrwürdigen Gästen von dem süßen Hippocras einschenkte, verneigte sich Janes Mann tief vor seinem Gastgeber an der hohen Tafel. »Ein exzellenter Wein - und ein glücklicher Tag. Wir trinken auf die Braut und den Bräutigam!«, rief er.
    »Auf die Braut und den Bräutigam!«, scholl es durch den Saal.
    Als Anne wieder zur Ehrentafel eilen wollte, sprach Jane sie an. »Ich hätte gern ein paar kandierte Veilchen, wenn du das nächste Mal an unseren Tisch kommst.« Jane Shores meerblaue Augen waren direkt auf Anne gerichtet. Anne lächelte freundlich, und als Jane Shore das Lächeln erwiderte, herrschte einen Augenblick lang eine tief gehende Verbindung zwischen ihnen, genau wie damals in der Abtei zwischen Anne und dem König. Das Ganze geschah so plötzlich, dass Anne erschrak, denn sie hatte geglaubt, den König seit dem Besuch von Deborah erfolgreich aus ihrem Herzen verdrängt zu haben. Doch mit einem Mal war ihr, als würden die drei Gesichter - ihr eigenes, Janes und das des Königs - zu einem einzigen Anblick zusammenschmelzen. Sie hatte das sichere Gefühl, dass sie alle drei miteinander verbunden waren, verbunden durch die Angst, die aus Verrat und Liebe erwuchs. Das Gefühl nahm immer mehr Gestalt an, rückte näher und wurde stärker, doch fehlte ihr noch immer die Kraft, es richtig zu deuten.
    Einen Augenblick lang hatte Anne alles um sich herum vergessen, dann hörte sie jemanden ihren Namen sagen. Melly stand neben ihr und versuchte verstohlen, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. »Anne, Lady Margaret hat gesagt, du sollst dafür sorgen, dass die Musikanten keinen Wein mehr bekommen.« Anne deutete einen Knicks vor Jane Shore an, ehe sie sich auf den Weg machte, um Lady Margarets Wunsch zu entsprechen.
    Die Musikanten waren für die Unterhaltung während des Festmahls angeheuert worden. Anfangs hatten sie klangvolle, ernste Lieder

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