Der Eid der Heilerin
und stieß sie in Richtung Kleiderkammer. Die arme Anne kam fast um vor Verlegenheit und warf Jassy einen flehenden Blick zu, der aber nichts nützte.
»Los, mach schon, Anne. Als ob ich nicht genug zu tun hätte!«
Also stolperte das Mädchen zum Abort, zog die Tür hinter sich zu und ließ die Haushälterin und der Arzt allein zurück. Die beiden musterten einander unbehaglich. In Abwesenheit ihrer Herrin oblag es Jassy, die Ehre des Hauses zu wahren.
»Nun, Doktor, darf ich Euch eine kleine Erfrischung anbieten, wenn Ihr hier fertig seid?«
»Zu freundlich, doch ich muss so schnell wie möglich wieder in den Palast zurück.«
»Dann werde ich nach jemandem schicken, der Euch den Weg leuchtet.«
Der Arzt verbeugte sich dankend. Die Unterhaltung kam ins Stocken, während sie auf Annes Erscheinen warteten, die sich eine Menge Zeit zu lassen schien. Der Arzt suchte verzweifelt nach einem weiteren Gesprächsthema.
»Ich kann Euch die erfreuliche Mitteilung machen, dass das Mädchen keine Anzeichen von Pest oder Schweißfieber aufweist. Mir scheint, sie hat etwas Schlechtes gegessen, vielleicht zum Frühstück.« Die Haushälterin schnaubte, es kränkte sie, dass in ihrem Haus so etwas vorkommen sollte. Der Arzt bemerkte seinen Fehler zu spät und fuhr eilig fort: »Was für ein Glück, in einem Haushalt mit einem Neugeborenen zu leben. Sagt, Mistress Jassy, war es eine leichte Geburt? Ich habe gehört, Ihr habt maßgeblich dazu beigetragen, die Schmerzen der Mutter zu lindern?«
Es war eine reine Mutmaßung, aber eine nahe liegende. In einem großen Haus wie diesem war die Haushälterin aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei der Geburt eines Enkelkindes anwesend. Doch Jassy ließ sich nicht so einfach besänftigen.
»Nein, Sir, es war keine leichte Geburt.« Ihre Worte klangen barsch. »Meine Herrin fürchtete sogar, Mutter und Kind zu verlieren, aber ein Mittel, das Anne bereitete, schien unsere junge Mistress in einen tiefen Schlaf zu versetzen.«
»Ein Mittel? Was für ein Mittel?« Unwillkürlich war das Interesse des Arztes erwacht.
»Ich weiß nicht, Sir. Anne kennt sich seit ihrer Kindheit mit Kräutern und Heilmitteln aus. Letztes Jahr litt unsere Herrin an Schwindsucht, und wir dachten schon, sie müsste sterben. Aber Anne heilte sie mit Tees und besonderen stärkenden Mahlzeiten, die sie selbst zubereitete.«
Das starre Lächeln des Doktors konnte kaum seine Verwunderung verbergen. Jassy bemerkte seinen Blick und schürzte trotzig die Lippen. »So wahr ich hier stehe, das stimmt. Und sie hat auch eine Salbe hergestellt, die dem kleinen Edward auf die Welt geholfen hat. Ohne sie hätten wir befürchten müssen, dass die Gebärmutter sich nicht weit genug öffnet.«
Sie hörten das Knarren der Aborttür, und Anne streckte den Kopf heraus. Sie hatte den Topf mit einem Tuch bedeckt und hielt ihn mit puterrotem Gesicht dem Arzt hin. Doktor Moss lächelte sie an, riss wie ein Jahrmarktszauberer das Tuch vom Topf und schnüffelte eingehend an seinem Inhalt.
Die beiden Frauen starrten ihn fassungslos an - der Arzt lachte lauthals über ihren Ekel. »Meine Damen, das ist nichts Anstößiges. Ich habe selten so klares, frisches Menschenwasser gerochen ; Junge Frau, ich glaube, Eure Diagnose war richtig.« Anne sah ihn überrascht an.
»Ja, ja. Ich glaube, ich habe hier eine Heilkünstlerin vor mir. Einen weiblichen Arzt.« Er lachte noch lauter. »Aber es ist wahr. Ihr habt ganz richtig vermutet, dass Ihr nicht krank seid. Ich stimme Euch zu. Der König wird sehr erfreut sein, wenn ich ihm das berichte. Und nun« - mit wenigen Schritten war er am Fenster und goss den Inhalt des Topfes in die Nacht hinaus, »muss ich mich aufmachen. Ich hoffe, unsere Wege werden sich wieder kreuzen.« Schwungvoll verbeugte er sich, überreichte Jassy den Topf und war verschwunden.
»Nun ...«, mehr konnte Jassy nicht sagen, als die Tür krachend hinter dem Doktor ins Schloss fiel. »Ein Doktor. So, so. Eher eine Art Kuppler, wenn du mich fragst.«
»Was ist ein Kuppler, Mistress?«, fragte Anne neugierig.
»Nichts, was du wissen müsstest. Komm, Kind, deine Herrin wird bald zurück sein. Zieh dich an und räum das Zimmer auf.«
Annes Kleid hing an einem Haken in der Kleiderkammer. Sie streifte es über, und Jassy richtete sogar ihr kleines Lager am Fußende des großen Bettes - eine ganz und gar unübliche Geste der Haushälterin, die prompt Annes Neugier schürte.
»Komm mit in die Küche, Kind. Bestimmt ist Maitre
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