Der Eid der Heilerin
hübsch in den Augen der Männer, aber das scheint dir nicht bewusst zu sein. Oder du kannst dich gut verstellen.«
Anne war gekränkt und dachte unwillkürlich an Piers' entsetzliche Ü bergriffe. »Männer verbreiten mit ihrer Lust nur Kummer und Schrecken. Am liebsten wäre ich unsichtbar«, gab sie erregt zurück.
Die Haushälterin war bestürzt und setzte zum Sprechen an, doch dann sah sie, dass der Trank überzukochen drohte. »Oh, schnell, sonst verdirbt alles!«
Während die Haushälterin aufsprang und den Trank vom Feuer zog, holte Anne zwei Holzschalen und einen Löffel für beide. Kurz darauf saßen sie wieder einträchtig vor dem Herd, und Jassy hing laut ihren Gedanken nach.
»Wenn man jung und hübsch ist... nun, das ist ein Segen, der auch verderblich sein kann, selbst wenn es einem eine Zeit lang Macht verleiht. Darüber wollte ich mit dir sprechen ... nach dem Besuch unseres braven Doktors eben ...« Sie sprach das Wort »brav« mit einer Schärfe aus, die Anne aufhorchen ließ.
»Was meint Ihr damit, Mistress?«
»Ich traue dem Doktor nicht und werde Lady Margaret von meinem Eindruck berichten. Ich glaube, unser junger König lässt sich leicht begeistern, was Frauen betrifft, und ich glaube nicht, dass er seinen Arzt wegen deiner Gesundheit geschickt hat. Es heißt, er benutze den Mann, um Zugang zu den Häusern der Mädchen zu bekommen, die er begehrt.«
Anne spürte eine Hitzewelle in ihren Leisten, und ein kalter Schauer lief über ihren Rücken. Furcht, Unsicherheit, Freude und Schuldgefühle vermischten sich in ihrem Inneren. »Ihr müsst Euch irren, Mistress Jassy. Der König wird sich doch wohl nicht ausgerechnet für mich interessieren. Er würde sich ebenso um jeden anderen seiner Untertanen kümmern, die Gott ihm überantwortet hat.«
Jassy verdarb diese hübsche, kleine Rede, indem sie prustend loslachte. »Du bist nicht die Erste, und, glaub mir, du wirst auch nicht die Letzte sein. Du bist ganz einfach unerfahren, was die Männer und den Hof anbetrifft, und das ist auch gut so. Wenn meine Vermutung stimmt, sollte Master Mathew mit deiner Ziehmutter reden - Deborah heißt sie, nicht wahr? Sie scheint eine brave und anständige Frau zu sein, die gut für dich gesorgt hat. Sie hat dich zu deinem Vorteil in diesem Haus untergebracht und wäre gewiss einverstanden, wenn du verheiratet werden würdest, bevor etwas Schlimmeres geschieht. Jemand aus dem Haus - ein guter, zuverlässiger Mann -, das wäre das Beste für dich. Perkin Wye braucht eine Frau. Sein Weib ist schon über ein Jahr tot, und er hat fünf Kinder zu versorgen. Du hättest einen guten Stand und einen sicheren Platz im Leben. Ich nehme an, du bringst keine Mitgift in die Ehe, so dass dies eine günstige Gelegenheit wäre.«
Perkin Wye heiraten! Er war alt und stank aus dem Mund. Anne zitterte am ganzen Leib. »Oh, bitte, Mistress, bitte nicht. Nicht jetzt, niemals! Lieber würde ich ins Kloster gehen als einen Mann heiraten, den ich nicht liebe.«
Jassy unterdrückte ein Schnauben - kein Kloster würde ein Mädchen ohne Mitgift aufnehmen. Aber Annes Verzweiflung stimmte die Haushälterin milde. Das dumme, kleine Ding war offenbar von den Idealen höfischer Liebe infiziert worden, als sie Lady Margaret im Sonnenzimmer diese Geschichten über edle Ritter und ihre feinen Damen vorgelesen hatte. Selbst Jassy war von diesen Geschichten nicht unberührt geblieben, wenn sie gelegentlich eingeladen worden war, sich mit ihrer Näharbeit zu ihnen zu gesellen. Aber jeder Narr wusste, dass das wahre Leben nicht so war. Wenn die Menschen eine eigene Wahl träfen, bräche im Nu ein heilloses Durcheinander aus. Sie seufzte. Ihre praktische Seite - die Frau, die den Haushalt organisierte und sich um den Aufruhr sorgte, den dieses Mädchen unwillkürlich hervorrufen würde, wenn der König ihr seine Gunst schenkte - rang mit dem längst verschütteten Funken Mitgefühl. Doch letzten Endes würde die praktische Seite siegen, denn es war ihre Pflicht, ihren Herrn zu informieren, falls der Besuch des Doktors irgendwelche Folgen zeigte.
»Na schön, Kind, da du dich so aufregst, werde ich fürs Erste nichts sagen. Aber wenn etwas passiert ... wenn ich hören sollte, dass ...«Jassy wurde von einem scharrenden Geräusch unterbrochen, als die steinerne Geheimtür zur Turmtreppe hinter ihr aufging.
Schuldbewusst sprang Anne auf, da sie glaubte, es sei ihre Herrin, die nach ihr suche, doch stattdessen bot sich ihr ein grausiges Bild - so
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