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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Posie Graeme-evans
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entsetzlich, dass beide Frauen wie gelähmt waren.
    Im Türrahmen stand Aveline und starrte sie aus leeren
    Augen an. Sie trug ein langes, ärmelloses Hemd, das an der Vorderseite blutüberströmt war. Ihre Arme waren mit neuen Blutergüssen übersät. Ihr Gesicht war kreideweiß, ihr Haar wild zerzaust, und unter ihren starren Augen klaffte eine hässliche Wunde, die sich über die Wange bis zum Mund zog.
    Anne, deren erster Gedanke war, das Blut müsse aus einer weiteren, vom Hemd verdeckten Wunde kommen, stürzte zu ihr.
    Aveline schwankte. Jassy schrie nach Corpus, er solle den Master und die Mistress holen, aber schnell. Der alte Mann tat wie geheißen und rappelte sich benommen auf, doch als er Aveline erblickte, stürmte er sogleich zur Küchentür hinaus. Unterdessen bettete Anne Aveline auf den Fußboden und riss ihr das Hemd vom Leib, um herauszufinden, woher das Blut kam.
    Doch die einzige Verletzung, die sie auf Avelines geschundenem, magerem Körper finden konnte, war der tiefe Schnitt im Gesicht. Während Anne eilig Wasser holte, um die Wunde zu säubern, beschwor Jassy Aveline, ihr zu sagen, was passiert war. Doch Aveline wollte oder konnte nicht sprechen. Der Schnitt im Gesicht war sehr tief, und Jassy wusste, dass sie große Schmerzen haben musste, als Anne sie, so gut es ging, zu säubern versuchte. Trotzdem gab Aveline keinen Ton von sich.
    »Anne, bring mir ein Leintuch. Schnell!«
    Das Mädchen gehorchte und jagte die Treppe zum Sonnenzimmer hinauf. Sie stürzte ins Zimmer und begann, die kleine Truhe zu durchwühlen. In diesem Augenblick kam ihre Herrin herein, dicht gefolgt von Corpus. »Was soll der Unsinn, Anne? Wo ist Aveline?«, rief Lady Margaret erregt.
    Um keine Zeit zu verlieren, verzichtete Anne auf eine Antwort und rannte stattdessen vor ihrer Herrin die gefahrlich schmalen Stufen zur Küche hinunter, wo Jassy Aveline auf ihren Schoß gebettet hatte und immer noch vergeblich versuchte, sie zum Sprechen zu bewegen.
    »Aveline, Lady Margaret ist hier. Wir machen dich sauber, und dann kannst du uns erzählen, was passiert ist.« Die Haushälterin warf ihrer Herrin einen entsetzten Blick zu. Die eilte an die Seite ihrer Schwiegertochter und bemerkte ein über und über mit Blut beschmiertes Jagdmesser.
    Margaret erstarrte. »Anne - schnell, geh zu Edward. Sieh nach, ob es ihm gut geht!«
    Wieder stürzte Anne die Treppe hinauf und riss auf dem Weg eine Fackel aus der Wandhalterung. Ihre Herrin versuchte währenddessen, Aveline zum Sprechen zu bringen.
    Ausnahmsweise hatte Corpus das letzte Fünkchen Gehirn angestrengt, das er noch besaß, und nicht die ganze Dienerschaft geweckt, sondern nur den Herrn und die Herrin. Deshalb war alles ganz still, als Anne durch die dunklen Flure hetzte.
    Sie wusste, dass das Kind mit Melly und der Amme in einem kleinen Nebenzimmer schlief, das vom Hauptraum, in dem Piers' und Avelines Bett stand, durch eine dicke Bohlentür getrennt war. Das kleine Zimmer konnte jedoch nur durch den Hauptraum erreicht werden. Als Anne atemlos die Schlafzimmertür erreichte, erfasste sie eine Welle der Erleichterung, denn sie hörte das Kind schreien. Er lebte! Und sie hörte auch Melly, die aus voller Kehle schrie.
    Die Tür zum Hauptraum stand offen, und Anne eilte hinein. Es war dunkel, und als sie zur Tür des Kinderzimmers stürzte, stolperte sie über irgendetwas und schlug der Länge nach hin. Obwohl der Boden mit Binsenkraut ausgelegt war, schlug sie mit dem Kopf hart auf und brauchte einen Augenblick, bis sie bemerkte, dass ihr Gesicht unmittelbar neben einem anderen Gesicht lag - dem Gesicht von Piers. Seine offenen Augen starrten sie an, und der Raum war vom metallischen Geruch von Blut erfüllt.
    Kreischend rappelte Anne sich auf, griff nach der Fackel, die auf die trockenen Binsen gefallen war, und hielt sie über ihren Kopf, bereit, sich seiner zu erwehren.
    Erst in diesem Moment sah sie, dass sein Leib mit Messerstichen übersät war. Wohin sie auch blickte, überall war Blut, auf dem Bett, dem Boden, dem Binsenkraut.
    »Wer da? Wer ist da?« Mellys entsetzte Stimme, die das Weinen des Kindes übertönte, bewahrte Anne davor, vor Entsetzten laut aufzuschreien.
    »Ich bin es, Melly. Anne. Alles ist gut ...«, antwortete Anne automatisch und zwang sich, die Finger vor Piers' Mund zu legen. Atmete er? Nein. Und sein Gesicht fühlte sich kalt an. Es war Zeit, sich um die Lebenden zu kümmern.
    Sie trat vor die Bohlentür und sah, dass von außen ein hölzerner

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