Der Eid der Heilerin
dafür gesorgt, dass der Leichnam aufgebahrt und gewaschen wurde und der Haushalt seinen ordentlichen Gang ging, nachdem die Dienerschaft von dem Tumult aufgewacht war.
Als Nächstes hatte sich die Frage gestellt, was mit Aveline geschehen sollte. Doch auch darum hatte Margaret sich gekümmert. Sie hatte Anne angewiesen, Aveline ins Sonnenzimmer zu bringen und dann ihre blutbefleckte Kleidung zu verbrennen.
Passiv hatte Aveline sich von Anne das blutstarre Hemd ausziehen und sich nackt und schweigend von ihr waschen lassen. Anne konnte vor Mitgefühl kaum die Tränen zurückhalten, denn es war klar, dass die Wunde in Avelines Gesicht eine hässliche Narbe hinterlassen würde, die ihre Schönheit für immer zerstörte. Anne gab sich alle Mühe und verband die Wunde mit einem Umschlag aus Wundkraut und Honig.
Dann zog Anne ihr eines ihrer eigenen Leinenhemden über und steckte sie in das Bett, das sie bis kurz vor Avelines Verheiratung noch mit ihr geteilt hatte. Auf Margarets Wunsch legte Anne sich an der Tür schlafen, aber Aveline gab den Rest dieser kurzen Nacht keinen Laut von sich.
Am nächsten Tag ordnete Mathew an, seinem Sohn die edelsten Gewänder anzuziehen und ihn in der Kapelle auf einem neuen Leichentuch aus schwarzem Samt aufzubahren. Er hatte persönlich die Kerzen bestellt, die nun Tag und Nacht den düsteren Raum bis in die Ecken erhellten. Mathew empfing auch die Trauergäste, die in einem steten Strom eintrafen, um ihm ihr Beileid auszusprechen. Die prunkvolle Aufbahrung des Leichnams gab auch Anlass zu Gerede. Piers war kein Adliger gewesen, nicht einmal ein Edelmann, aber die Kerzen, die frischen Rosen und das prachtvolle Ornat, das der schwitzende Bartolph tragen musste, waren Ehrenbezeigungen, die eines bedeutenden Mannes würdig gewesen wären, der nach einem langen und prachtvollen Leben gestorben war.
Diejenigen, die Mathew ihre Aufwartung machten, wussten sehr wohl, dass Piers eine herbe Enttäuschung für seinen Vater gewesen war. Doch wenn jemand gestorben ist, sind die Menschen gewöhnlich freundlich, und so wurden viele wohl gemeinte Lügen über den Toten gesagt, der dort zwischen den Kerzen und Blumen lag und langsam eine grünlichwächserne Farbe annahm und die Kapelle mit dem süßlichen Geruch verfaulenden Fleisches erfüllte.
Doch nichts konnte Mathews Gram über seinen Sohn lindern. Seine Ermordung lag wie ein spitzer, glühender Stein in seinen Eingeweiden, ein Stein, der, wie er wusste, von ihm geschaffen worden war. Denn er hatte seinen Sohn nie genug geliebt, um das Böse zu sehen, das in ihm gärte. Für dieses Versäumnis forderte Gott nun Vergeltung.
Als der Morgen des vierten Tages dumpf in die Kapelle sickerte, sah Vater Bartolph, der erschöpft von einem Fuß auf den anderen trat, das Fresko von Mathew und seiner zu Füßen der heiligen Mutter knienden Familie plötzlich mit ganz anderen Augen an. Der Maler hatte eine Wahrheit erahnt, die kein anderer gesehen hatte. Neben Piers hatte er eine geschwungene, an eine Schlange erinnernde Peitsche angedeutet. Ja, der Maler hatte es gewusst. Piers' Grausamkeit war das Werk des Teufels - die Schlange im Garten Eden. Und nun hatte sie ihn getötet.
Bartolph beendete seine Gebete, neigte sich über die im Tabernakel verwahrte Hostie und wandte sich seinem Herrn zu. Mathew starrte auf das glänzende Gesicht seines Sohnes, als wollte er sich jeden einzelnen Zug für immer einprägen. Der Pfarrer räusperte sich zwei Mal, doch Mathew reagierte nicht. Er rang mit seinem Gott, flehte ihn an, seine Seele im Tausch für das Leben seines Sohnes zu nehmen - für Gott, der Lazarus wieder hatte gehen lassen, war es doch gewiss noch nicht zu spät?
»Sir ...«, sagte Vater Bartolph. Keine Antwort. »Master Mathew ... Sir!« Seine gepresste Stimme fand endlich Gehör, und Mathew ließ von seinem fieberhaften Ringen mit Gott ab.
»Ja, Vater?«
»Master Mathew, heute ist das Fest von Johannes dem Täufer.«
»Nun?«
»Im Namen des Opfers unseres heiligen Johannes, ich glaube, dass Gott zu mir gesprochen hat. Von Piers.«
»Und was hat er gesagt, Vater?« Mathew sprach ruhig, doch seine Stimme klang dumpf und wie aus weiter Ferne.
Der Pfarrer erschrak, sprach aber weiter. »Sir, er hat gesagt, dass heute der Tag ist, an dem Euer Sohn zur Ruhe gebettet werden soll, denn Ihr habt genug gelitten - wie der heilige Johannes.«
»Nein!«
Lady Margaret hörte beim Betreten der Kapelle den Zorn in der Stimme ihres Gemahls und sah den
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