Der Eid der Heilerin
einen Augenblick, bis sie verstand, was er von ihr wollte. Schließlich rief ihr das Stöhnen der Königin jene schreckliche, erst wenige Wochen zurückliegende Nacht mit Aveline ins Gedächtnis zurück.
»Honig, Mohn und das da ...« Sie nestelte an ihrem kleinen Lederbeutel, den Deborah ihr gegeben hatte, und zog eine Hand voll schwarzer Samenhülsen heraus, die sie auch bei der Geburt des kleinen Edward benutzt hatte. Aufgeregt riss Moss ihr die Hülsen aus der Hand. In diesem Augenblick klopfte der Edelknabe des Königs wieder an die Tür und verlangte den Doktor zu sprechen.
»Sag dem König, ich komme gleich - und hoffentlich mit guten Nachrichten.« Moss wusste, dass sein Schicksal an einem seidenen Faden hing, doch ihm blieb kein anderer Ausweg, außer den Erben Englands mit Gewalt aus dem Bauch seiner Mutter zu zerren. Doch dies würde er nur versuchen, wenn die Königin starb. Moss schickte Tom eilig nach Honig und den anderen Zutaten für die Paste, während Anne hinter den Frauen wartete, die sich um die Königin drängten.
Die Frau auf dem breiten Bett jaulte wie ein Tier, und ihre Augen waren in die Höhlen zurückgetreten. Moss sprach nervös mit einer Schwester der Königin und ihrer Mutter, der Herzogin Jacquetta. Zum Glück kehrte Tom schnell wieder zurück. Der Doktor eilte mit ihm zu Anne und drückte ihr einen großen Mörser in die Hand. »Mach dich an die Arbeit. Jede Verzögerung bringt sie dem Tod näher«, stieß er mit angsterstickter Stimme hervor und wandte sich eilig wieder der Königin zu. »Versucht zu pressen, Majestät. Bitte ... versucht es wenigstens.« Die Hofdamen rissen entsetzt ihre Augen auf, denn die Königin war plötzlich erstarrt. Sie zitterte, aber sie schrie nicht mehr. Offensichtlich war das Ende nah, und von dem Kind war noch immer nichts zu sehen.
Verzweifelt betete Anne zur heiligen Anna und zur Göttin Aine, während sie, so schnell sie konnte, die zerstoßenen Samenhülsen und Mohnsamen mit dem Honig mischte, bis ein sämiger Brei entstand. Dann eilte sie zu Moss und stieß den Mörser in seine Hände. Dieser schaufelte rasch eine Hand voll der klebrigen Masse heraus und drückte sie zwischen die Beine der Königin.
Was dann passierte, erschien allen, die in dieser Nacht zugegen waren, wie ein Wunder. Nach kaum zehn Herzschlägen gab die Königin ein tiefes Stöhnen von sich, dann strömten Blut und Flüssigkeit aus ihr heraus, und einen Augenblick später war das Köpfchen des Kindes zu sehen.
Das Kind stieß einen Schrei aus, noch bevor der übrige Körper den mütterlichen Schoss verlassen hatte. Der Rest folgte in Windeseile.
Die Königinmutter schnitt eigenhändig die Nabelschnur durch, doch dann trat ein Moment entsetzten Schweigens ein, bis Moss allen Mut zusammennahm und verkündete: »Ein Mädchen. Ein gesundes Mädchen. Seht, Majestät - Eure Tochter.« Die kräftigen Schreie der Kleinen brachten die Königin in die Gegenwart zurück. Als ihr das Kind auf den Bauch gelegt wurde, schlug sie erschöpft die Augen auf.
»Ein ... Mädchen? Wo ist mein Sohn? Wer hat meinen Sohn genommen?« Die Erregung der Königin hauchte ihrem aufgedunsenen Körper neue Lebenskraft ein. Sie krampfte, bäumte sich mit durchgebogenem Rücken auf, und in diesem Augenblick dachten alle, sie würde tatsächlich sterben.
Geistesgegenwärtig rettete Doktor Moss Elizabeth Wydeville das Leben, indem er seine Hand in den Mund der Königin rammte und ihre Zunge festhielt, damit sie nicht daran erstickte - auch wenn er sich dabei einige kräftige Bisse einhandelte. Gleichzeitig brüllte er die Umstehenden an, die Arme und Beine der Königin festzuhalten. Herzogin Jaquetta zog die kleine Prinzessin vom zuckenden Bauch ihrer Tochter und hüllte sie in eine kostbare, mit den Leoparden Anjous und den Lilien Frankreichs bestickte, pelzumsäumte Decke, die eigentlich für einen Prinzen bestimmt gewesen war.
Als Elizabeth wieder zu sich kam, weinte sie in den Armen ihrer Mutter bittere Tränen über ihr Unglück, und der Doktor, der die Königin außer Gefahr sah, widmete sich dem Neugeborenen, das eine gesunde rosa Farbe angenommen hatte und aus Leibeskräften schrie. Die Amme wurde ins Zimmer gescheucht, wo sie eilig ihr Mieder öffnete, um die neue Prinzessin zu stillen. Moss gab Anne ein Zeichen, ihm vor die Tür zu folgen.
Vor den Gemächern der Königin hatte sich eine große Traube von Höflingen eingefunden. Alle wollten das Geschlecht des Neugeborenen als Erste erfahren. Die
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