Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Wolfram ließ ihren Arm los und holte zum Schlag aus, aber das zierliche Mädchen tauchte geschickt unter dem Ellbogen durch – und dann hatte Rupert auch schon Wolframs Schultern gefasst. Er riss den Jungen von Gisela weg.
Gisela beobachtete fasziniert, wie die beiden auf der Stallgasse aufeinander einschlugen. Es war härter als die Rangeleien unter den Straßenkindern. Die Kombattanten steuerte lodernder Hass.
Rupert hatte sicher mehr Erfahrung bei Prügeleien als Wolfram, aber der Guntheimer war inzwischen deutlich schwerer als der Knecht. Und zweifellos trieb ihn der Wunsch, Rupert alle Demütigungen heimzuzahlen, die der Knecht ihn als Knappe hatte erdulden lassen. Gisela dachte an das Kampfübungsgerät, das Wolfram damals vom Pferd gestoßen hatte – und Ruperts Lachen, als er lässig darunter hindurchritt und den hölzernen Ritter dann auch noch mit der Schleuder »erlegte« …
Wolfram schlug ohne Unterlass auf Rupert ein, aber Rupert gab ebenso zurück. All die Privilegien, die Wolfram genossen hatte, während er, der bessere Reiter, der bessere Kämpfer – der weitaus bessere Ritter! –, im Stall die Mistgabel schwang. Giselas Tändelei mit dem Knappen … und jetzt seine unverschämte Annäherung an das Mädchen, das Rupert haben wollte! Der kräftige, muskulöse Junge prügelte gnadenlos auf den Möchtegernritter ein. Und dann gelang es ihm, Wolfram zu Fall zu bringen. Der Guntheimer strauchelte,Rupert fiel über ihn und griff nach seiner Kehle. Aus dem Schlagen war ein Ringen geworden – und dann machte Rupert ernst. Er drückte zu, schloss die Finger um den kräftigen Hals des sich verzweifelt wehrenden Ritters und presste sie zusammen.
Gisela beobachtete entsetzt, wie Wolframs Gesicht sich rötete und seine Abwehrbewegungen erlahmten.
»Rupert! Rupert, hör auf, du bringst ihn ja um!«
Aber Rupert dachte gar nicht daran, seinen Griff zu lösen. Nicht einmal, als Gisela seine Schultern fasste und ihn wegzuziehen versuchte. Nicht einmal, als sie schließlich zu einer Peitsche griff und auf ihn einschlug.
Als er endlich von Wolfram abließ, sank dessen Körper schlaff ins Stroh.
Rupert richtete sich auf. Er grinste triumphierend. »Nun? Wo war jetzt dein Ritter Armand, als du Schutz gebraucht hast, Gisela?«
»Als ich Schutz gebraucht habe?« Gisela hockte sich neben Wolfram ins Stroh und fühlte seinen Puls, wie Konstanze es ihr beigebracht hatte. Aber hier kam jede Hilfe zu spät. »Rupert, was sagst du? Herrgott, Rupert, du hast ihn umgebracht! Du hast ihn kaltblütig erwürgt! Einen Ritter! Darauf steht der Galgen.«
Rupert lachte. »Das hab ich schon mal gehört, meine Dame. Und es gefällt mir heute noch so wenig wie damals. Zumal es nicht mal zutrifft. Dieser Abschaum war kein Ritter!«
»Er war von Adel!«, beharrte Gisela. »Und er … Egal, was er getan hat, er durfte nicht so schändlich sterben.« Sie stand auf.
»Ach so, da hab ich wohl ein wenig an seiner Ehre gekratzt!«, höhnte Rupert. »Und was ist mit deiner Ehre, Gisela? Er hat dich angefasst, er wollte dich schänden, er … er hat den Tod verdient!«
Gisela wurde bewusst, dass sie ihm insgeheim zustimmte, sie dachte auch an Magdalena. Aber alles in ihr sträubte sichgegen diese Schlägerei zur Ehrenrettung, die noch nicht einmal fair gewesen war. Wolfram war zweifellos wütend gewesen und vielleicht auch stärker als Rupert. Er war im ritterlichen Kampf geschult, Rupert jedoch prügelte sich, seit er denken konnte.
»Das hätte man anders regeln können«, sagte sie hochmütig. »Ein Wort zu Armand, und er hätte ihn gefordert. Dann wäre er … dann wäre er gestorben, wie es einem Ritter gebührt.«
Rupert lachte verächtlich. »Tot ist tot!«, spie er aus. »Was schert’s einen, ob er verröchelt oder verblutet!«
»Wohl schert’s einen!«, wies Gisela den Knecht zurecht. »Sie … sie werden jetzt nicht mal wissen, wie sie sein Grabmal gestalten sollen!«
Noch während sie sprach, wurde ihr klar, wie dumm das klang. Niemand würde Wolframs Abbild in Stein hauen. Nicht in der Haltung eines Ritters, der im Kampf auf Seiten des Siegers gefallen war, und nicht in der eines Mannes, der an seinen Wunden gestorben oder in Gefangenschaft einer Krankheit erlegen war. Niemand würde Messen für ihn lesen lassen und Kerzen in seinen Farben gießen, um sie an seiner Totenbahre aufzustellen. Das alles kostete ein Vermögen. Natürlich … wenn man sein Pferd und seine Waffen verkaufte …
Aber mit seinen Waffen
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