Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
werden ihre Sünden vergeben, wenn wir einst einziehen werden in das Goldene Jerusalem, das uns die Bibel verspricht! Niemand wird je wieder hungern, frieren, sich ängstigen! Wenn Jerusalem erst befreit ist, wird ein Goldenes Zeitalter anbrechen, und wir, die wir geholfen haben, es zu schaffen, werden unseren Platz finden zur Rechten des Herrn.«
Magdalena verstand nicht alles, was der Mönch redete. Aber nahm da wirklich jemand Mädchen mit auf einen Kreuzzug? Und Bettler? Womöglich Huren wie sie?
»Wo … wo ist denn das?«, fragte sie heiser. »Ich meine … der … der Kreuzzug.«
»Die Kinder lagern auf dem Platz vor dem Dom! Und es ist wie bei der Speisung der Fünftausend: Die braven Bürger füttern und pflegen sie, auf Jesu Ruf hin! Und die Worte des kleinen Propheten sind wie wärmende Sonnenstrahlen.«
»Und … sind es … viele?«, erkundigte sich Magdalena. Wenn es nur ein oder zwei Dutzend waren, würde ihr Stiefvater sie finden, auch wenn dieser Nikolaus bereit wäre, sie mitzunehmen.
»Ach, viele! Mehr als eine ganze Legion!«, schwärmte der Mönch. »Zwanzig-, dreißigtausend! Der Domplatz ist schwarz von Menschen!«
»Und … es geht bald weiter?«
Magdalena konnte es kaum glauben, aber tief in ihr regte sich Hoffnung. Wenn sich das Goldene Jerusalem wirklich auch den ärgsten Sündern öffnete … Wenn sie ihrem Stiefvater und diesem Verschlag entfliehen konnte … wenn dieser Nikolaus sie wirklich so selbstverständlich fütterte wie Jesus die Fünftausend … und dafür so gar keine Gegenleistung verlangte … Sie konnte es auf jeden Fall versuchen. DerDomplatz war nah. Und wenn der Stiefvater sie fand, konnte sie immer noch sagen, sie habe nur mal gucken wollen.
»Morgen oder übermorgen geht es weiter!«, gab der Mönch bereitwillig Auskunft. »Wir warten noch auf den Segen des Herrn Erzbischof. Nicht alle Geistlichen sind uns wohlgesonnen, weißt du.«
Magdalena wusste es nicht, und es war ihr auch egal. Als der Mönch endlich gegangen war – den Lohn für ihre Dienste hatte er schon vorher bei ihrem Stiefvater entrichtet –, mühte sie sich auf die Beine. Das war nicht leicht, sie lag fast den ganzen Tag. Abends war sie steif, und die Haut war wund. Schnell rennen konnte sie auch nicht, dafür wurde ihr zu leicht schwindelig. Aber bis zum Domplatz würde sie schon irgendwie kommen.
Magdalena schleppte sich durch die Gassen des Judenviertels. Sie war bislang selten beim Dom gewesen, und hineingetraut hatte sie sich noch nie. Allein der Platz vor der großen Kirche war beeindruckend genug, sogar die Bettler dort waren mächtig – wohl genährt und stark. Magdalena wagte nur in größter Verzweiflung, ihnen ihre Pfründe streitig zu machen.
Und dann der Markt, der dort täglich abgehalten wurde! Für Magdalena war er eine einzige Versuchung. Die Speisen waren so reichhaltig und rochen so gut … Magdalena hatte sich einmal so sehr nach einem der roten Äpfel verzehrt, dass sie versuchte, ihn zu stehlen. Aber natürlich war sie nicht schnell und geschickt genug gewesen. Der Obsthändler hatte sie erwischt, aber bevor er sie noch stellen konnte, hatten ihr schon ein paar Gassenjungen den Leckerbissen weggeschnappt. Der Händler hatte dann diese verfolgt, und Magdalena war glimpflich davongekommen. Jetzt erinnerte sie sich wieder an die glatte, kühle Schale des Apfels, den sie in der Hand gehalten hatte, und das Gefühl, seinem Duft ganz nahe zu sein. Magdalena hütete diese Erinnerung wie einen Schatz.
An diesem Tag allerdings waren keine Stände auf dem Domplatz aufgebaut, sie hätten dort auch gar keinen Platz gefunden. Wie der Mönch gesagt hatte: Der Platz rund um das Gotteshaus war angefüllt mit Menschen. Magdalena sah nicht nur Kinder. Im Gegenteil, ihr erster Blick fiel auf einen der besten Freunde ihres Stiefvaters: Gerhard, ein Taschendieb. Der alte Gauner schwenkte einen Weinschlauch und lachte, als er das Mädchen ebenfalls erkannte. Magdalena wollte sich in der Menge verstecken, aber es war schon zu spät.
»He, Erwin! Da ist ja deine Kleine! Pass bloß auf, dass sie nicht auch das Kreuz nimmt und dir wegläuft!«
Er lachte schallend. Magdalena fuhr bei der Nennung des Namens ihres Stiefvaters zusammen. Mehr als zwanzigtausend Menschen – und ausgerechnet ihm musste sie in die Arme laufen!
Das Mädchen suchte verzweifelt nach einem Fluchtweg, als sein Stiefvater tatsächlich hinter Gerhard auftauchte. Er wankte aus einer Schänke, gefolgt von einem ihm
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