Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
nicht reden, mit niemandem reden, nicht mit Steffen, der ihn für durchgeknallt halten würde, schon gar nicht mit Ela, die sich an alles erinnern müsste; also sagt er nur ein paar Standardfloskeln: dass es ihm gutgeht, zumindest okay, nur ein paar Probleme, nichts weiter, und legt wieder auf.
Zurück zu Hause setzt er sich an den Laptop und schaut Filme, auf die er sich nicht konzentrieren kann, rennt hektisch durch die Wohnung, kocht etwas, worauf er keinen Appetit hat und das er sofort wieder wegschmeißt, irrt den Gang auf und ab und traut sich nicht einmal mehr, auf Dems Handy anzurufen. Wenn es stimmt, denkt er, wenn sie mit dem Vater … Sie könnte keinen Satz mehr mit ihm wechseln.
Er sucht in Fils Schränken nach Alkohol, stößt auf eine Flasche Rum und beginnt zu trinken, viel zu schnell zu trinken.
Was könnte er sagen, damit sie ihn wenigstens nicht hasst?Dass auch er keine Ahnung hatte, es für ihn genauso, noch schrecklicher ist als für sie?
Es darf nicht stimmen.
Ich bin nicht mein Vater, sagt er, schreit er, gegen die Wände.
In dieser Nacht schläft er nicht, drückt er kein Auge zu, obwohl er fast die ganze Rumflasche geleert hat, geht nur immer wieder die Bilder durch: wie Dem durch die Wohnung schleicht, in die Schublade schaut, Fils Pass findet – und alles versteht. Dem mit dem Vater vor einigen Jahren, wie sie sich das erste Mal begegnet sind, vielleicht bei Ela in der Wohnung, wie Fil sie interessiert, vielleicht auch gleich etwas lüstern angesehen hat und wie sie sich schließlich das erste Mal küssten. Dem wirkt nicht, überlegt Daniel, sagt er sich vor, als ob sie etwas mit sich lassen machen würde, auf das sie keinen Bock hat, wenn es das gewesen wäre, Missbrauch, eine Art Missbrauch, hätte Ela anders über Fil geredet, es muss einvernehmlich gewesen sein, vielleicht ging die Initiative sogar von ihr aus, vielleicht hat Dem mit Hilfe von Fil der Betreuerin, der Ersatzmutti, eins auschwischen wollen. Vielleicht war es das. Sie haben sich geküsst, denkt Daniel, vielleicht haben sie sich nur geküsst, vielleicht war da nicht mehr, nur der Kuss, die Andeutung einer Affäre, es muss nicht sein, redet Daniel gegen die Bilder an, dass sie wirklich was hatten, und sieht die nackten Körper vor sich, Dems und des Vaters, muss nicht sein, dass sie wirklich …
Und wieder ist da der Ekel, wieder schnürt es ihm die Kehle zu, die ganze Nacht über immer wieder die gleiche Sequenz.
Kurz vor halb sieben, es ist hell geworden, aber keine Sonne ist aufgegangen, die geschlossene Wolkendecke hat die Stadt fest in der Hand, macht sich Daniel schließlich auf den Weg zu Beule, steht wenig später vor dessen Wohnung, trommelt mit den Fäusten gegen die Tür. Es dauert eine Weile, bis drinnen jemand reagiert, Schritte zu hören sind.
Wer da sei, hört er Beules unausgeschlafene Stimme.
Mach auf!
Was soll die Scheiße? Es ist halb sieben.
Mach endlich auf!
Die Tür öffnet sich, aber Beule scheint Schwierigkeiten zu haben, ihn zu erkennen, seine Augenlider sind verklebt.
Ob er bescheuert sei, es sei mitten in der Nacht.
Hinter Beule schlurft eine Frau durch den Gang. Daniel kann nicht erkennen, ob es dieselbe ist, die er das letzte Mal hier getroffen hat, was für ein Gesicht sie macht.
Sie war siebzehn, beginnt er hektisch, seine Stimme überschlägt sich, Fil fast vierzig.
Siebzehn? Beule versteht nicht, weiß nicht, worüber Daniel redet, versucht die Tür wieder zuzumachen.
Doch Daniel klemmt den Fuß in den Rahmen.
Die Frau, mit der Fil damals etwas hatte, wegen der Ela mit ihm brach, sie war so alt wie ich.
Er spricht Dems Namen nicht aus, bringt den Namen nicht über die Lippen.
Ela hat sie betreut, redet er hektisch weiter, schreit gegen die Vorstellung an, Fil hat sie überhaupt erst über Ela kennengelernt. Sie war von zu Hause abgehauen, Ela ihre Sozialarbeiterin, und er hat das ausgenutzt, ich muss wissen, ob er es ausgenutzt hat.
Ob er jetzt völlig durchgeknallt sei, antwortet Beule, jetztvöllig spinne, er solle nach Hause gehen, seinen Rausch ausschlafen, und wieder setzt Daniel an: Sie war ein Mädchen, zwanzig Jahre jünger als Fil, steckte in einer Krise, hat auf der Straße gelebt, finde Beule das normal, sei es etwa das, was sie unter Freiheit verstünden?, und wieder vermeidet er, Dems Namen auszusprechen.
Was rede er da eigentlich, fragt der Freund des Vaters, was seien das für Drogen, die er da geschluckt habe, auf was für einem Trip er
Weitere Kostenlose Bücher