Der eine Kuss von dir
sich durch die Haare. Er kreuzt seine Beine und lehnt sich an einen Bühnenpfosten, dabei lässt er mich nicht aus den Augen.
Ich beschließe, ganz professionell zu sein und nicht auf solche Bemerkungen und Blicke einzugehen.
Ich schraube die Kamera auf das Stativ und wähle einen schönen Bildausschnitt, nah genug an Milos Gesicht, aber mit ausreichend Platz für kleinere Bewegungen. Ich kritzle auf einen zeknüllten Zettel aus meiner Tasche »Bitte nicht stören. Aufnahmen!«, und klemme ihn an die Saaltür, die ich schnell hinter mir schließe. Ich spüre Milos Blick auf mir. Während ich zur Bühne zurücklaufe, fühle ich mich ungelenk und suche nach Worten. »Okay. Können wir anfangen?«, frage ich schließlich.
Milo nickt.
PLAY .
»Wie fühlst du dich jetzt?«, beginne ich.
Milo lächelt kurz, schaut zu Boden, überlegt, sieht dann wieder in die Kamera, aber nur einen kleinen Augenblick, und sucht sich schließlich einen Punkt weiter weg bei den Scheinwerfern.
» Ehrlich?«, setzt er an, zögert aber gleich.
Ich nicke ihm aufmunternd zu.
Er zündet sich eine Zigarette an.
MILO: Du wirst es nicht glauben, aber das hat mich noch nie jemand gefragt. Komisch, oder? Das ist jetzt keine besonders originelle Frage oder so, aber wirklich … das letzte Mal vielleicht meine Mutter, vor fünf Jahren, als ich eine Magen-Darm-Grippe hatte.« (Er schüttelt ungläubig den Kopf.) Also wie ich mich fühle, ja? Okay. Fertig irgendwie. Leergespielt. Das ist immer so ein Mischgefühl. Es ist weder gut noch schlecht. Oder sagen wir mal, es wird durch die Außenwelt dann entweder gut oder schlecht. Wenn zum Beispiel danach, nach dem Auftritt, ganz viele Leute zu dir kommen, um dir zu sagen, dass der Gig gut war, dann ist das gut. Natürlich. Jeder hört gerne, dass er gut ist. Oder? (Er sieht mich an. Ich schaue ihm kurz in die Augen und zucke dann mit den Schultern.)
Tja, wie auch immer. Ich höre das jedenfalls gerne. Ich glaube, man steht auf der Bühne, weil man dieses Gefühl liebt, dass da so viele Leute zu einem hochschauen … und einen gut finden … Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das natürlich total armselig. Gott, siehst du … jetzt geht es mir wieder schlecht.
Er verstummt. Schaut verloren an mir vorbei, weicht meinem Blick aus. Ich will sein Schweigen nicht unterbrechen, obwohl ich damit riskiere, dass der Gesprächsfluss versiegt. Aber ich habe das Gefühl, das ist einer dieser echten Momente, vielleicht ist es das erste Mal, dass ich Milo ohne seine abgeklärte Maske sehe. Ich lasse es darauf ankommen.
Milo reibt sich die Stirn, wippt mit dem Oberkörper vor und zurück und raucht seine Zigarette fertig, still. Ich sehe ihn an, weil ich weiß, dass sich unsere Blicke jetzt nicht begegnen werden.
Ich kann ihn mir in aller Ruhe anschauen.
Seine an den Beinenden abgenutzten Jeans, weil sie immer ein Stück runterrutschen, trotz Cowboygürtel. Seine erstaunlich gepflegten Fingernägel. Diese Hände sind sowieso unglaublich, stelle ich jedes Mal aufs Neue fest. Ich sehe dabei zu, wie die eine Hand das Feuerzeug dreht und wendet, die andere die Zigarette am Bühnenrand ausdrückt und dann wegschnipst, sich eine neue aus der Schachtel zieht und zum Mund führt, die andere gleich hinterher, zum Anzünden bereit.
Milo zieht den Rauch ein, pustet ihn geräuschvoll wieder aus und schaut wieder in die Kamera.
MILO: Meine Eltern wollen, dass ich studiere. Die sagen, das mit der Musik ist nett, aber man solle sich immer mehrere Standbeine aufbauen. Ich glaube, wenn man Musik macht, Rockmusik, dann ist das das Bekloppteste, was Eltern einem sagen können. Und weißt du, was das Dumme daran ist …? Ich bin letztens mal die Studiengänge an den Unis durchgegangen. Kennst du das? Das mit diesen Eltern, die dir zwanzig und noch was Jahre voraus sind und deshalb meinen, die besseren Ideen zu haben, wegen der Erfahrungen und so BlaBla-Zeug?
»Meine Eltern sind unglaublich cool.«
»Ich glaub dir kein Wort«, empört sich Milo.
»Ist aber so.« Ich zucke mit den Schultern.
»Und du schämst dich nicht, das so mir nichts dir nichts auszusprechen?« Er schüttelt den Kopf.
»Tut mir leid«, sage ich.
»Was?«
»Dass du doofe Eltern hast.«
»Beleidigst du gerade meine Eltern?« Er sieht mich an.
Ich muss grinsen.
»Ist das da gerade ein Lächeln?« Er beugt sich zu mir, an der Kamera vorbei. Vorsichtig kommt er näher an mein Gesicht und fährt dann mit seinem Finger über meine Lippen.
»Du bist
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