Der eine Kuss von dir
nicht mehr im Bild«, flüstere ich.
Er macht ein fragendes Gesicht.
»Die Kamera«, erkläre ich, immer noch so leise wie möglich.
»Oh. Entschuldigung.« Er weicht zurück und rückt sich wieder ins Bild, gerade rechtzeitig – noch einen Moment länger und ich wäre explodiert.
Ich suche nach der nächsten Frage.
Was war doch gleich das Thema?
Worum geht es hier?
»Musikalische Vorbilder?!«, platzt es aus mir heraus, voller Dankbarkeit, den Faden wieder gefunden zu haben.
»Puh. Alle?« Er kratzt sich am Kopf. »Hast du so viel Zeit? Ich meine … okay … Akku hält durch, ja?«
Ich nicke.
MILO: Okay also … Led Zeppelin, White Stripes, Kings of Leon, Deep Purple, The Cure, Johnny Cash, Radiohead, Mumford & Sons, The Doors, Blur, Nick Cave, Stones, P. J. Harvey, The Verve, Sigur Rós, Soundgarden, Ben Harper, Nina Simone, Pixies, Jet, Bush, The Kinks, The Who, Leonard Cohen, Nirvana, Pearl Jam, Juliette and The Licks, U2, Beck, Lou Reed, Oasis, Foo Fighters, Grateful Dead, Editors, Muse, Ramones, Mando Diao, Air, Pink Floyd, Black Keys und ein ganz klein bisschen Green Day.
Er sieht abwechselnd in die Kamera und zu mir, lächelnd und sichtlich zufrieden mit seiner Aufzählung.
Er ist doch anders, schießt es mir durch den Kopf. Er nimmt sich nicht zu ernst. Das, was er sagt, ist schon immer ernst, aber in seinem Gesicht ist ganz viel Spaß und Freude, wie bei einem kleinen Jungen. Vielleicht ist es genau das … So viele Typen, die ich kenne, nehmen sich furchtbar ernst, als müssten sie der Welt die Augen öffnen für ihre tollen Ansichten und Ideen. Das nervt gewaltig. Milo hingegen hat immer so einen ironischen Unterton, auch sich selbst gegenüber, das mag ich sehr.
»Und nun? Reicht das jetzt nicht mit dem Interview, Frieda?« Er sagt zum ersten Mal meinen Namen und spricht ihn ganz langsam und deutlich aus.
»Hast du noch Termine?«, frage ich.
»Nee, aber ich könnte mir Lustigeres vorstellen.«
»Zum Beispiel?« Ich verstecke mich hinter dem Sucher, um ihn nicht ansehen zu müssen.
»Wir könnten an der Stelle von heute Mittag weitermachen.« Er sieht direkt in die Kamera, kein Grinsen diesmal, völlig ernst.
Wärme schießt mir ins Gesicht. Warum werde ich ausgerechnet immer dann rot, wenn es darauf ankäme, ganz besonders unrot zu bleiben?
Ich schalte die Kamera aus. »Den letzten Satz lösche ich dann mal.«
Ich stehe auf und drehe mich auf der Bühne planlos hin und her. Ich stecke meine Hände in die Taschen meiner Jeans. Nach der ganzen Sache mit Jeffer tut mir das hier richtig gut. Jemand, der mit mir flirtet. Ich bin immer noch nicht sicher, ob es hier um mich geht, oder vielleicht bloß ums Rumknutschen, aber andererseits … der Kuss vorhin war toll. Was spricht gegen ein bisschen Rumknutschen?
Ich drehe mich zu Milo, sehe ihm in die Augen: »Ich würde schon … nur, was ist mit Linda?«
Milo winkt ab, steht auch auf und kommt auf mich zu. »Mit Linda ist gar nichts. Mach dir keinen Kopf.« Er greift meine Hand und drückt sie vorsichtig.
»Wirklich nicht? Ich hatte nämlich schon den Eindruck, dass … ach, was weiß ich. Ist mir egal.« Ich gehe noch einen Schritt auf ihn zu und er zieht mich zu sich heran.
Unsere Lippen berühren sich, öffnen sich, die Zähne stoßen leicht aneinander. Wir küssen uns. Diesmal viel entspannter als heute Mittag, viel länger.
Milo drückt mich noch fester an sich. Ich öffne kurz meine Augen und sehe seine geschlossen. Ein Lächeln rutscht mir zwischen die Küsse.
»Was ist?«, murmelt Milo, ohne von meinen Lippen abzulassen.
Ich schüttle nur leicht den Kopf und fahre gleichzeitig mit meiner Zungenspitze über seine Lippen.
Und dann später, ich weiß nicht wie viel später, ich habe kein Gefühl mehr für die Zeit, liegen wir im Bett der kleinen Absteige, in die wir einquartiert wurden, und haben nicht miteinander geschlafen.
Nur geküsst, bis meine Lippen schließlich brannten, bis wir voneinander ablassen konnten. Aber unsere Hände lie gen noch ineinander, betasten sich vorsichtig. Milo hat kleine Huckel an den Fingerkuppen, von den Gitarrensaiten.
»Das erste Mal, als du bei unserem Konzert warst …«, fängt er an.
»Ist schon ein paar Wochen her.« Ich erinnere mich noch sehr gut. Es war im Exit , einem völlig verrauchten Club mit einer Discokugel an der Decke, die bunte Punkte auf den Boden warf.
»Wir haben uns unterhalten, kurz in der Pause. An der Bar. Du warst mit diesem komischen Vogel Jeffer da.« Er sieht
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