Der eine Kuss von dir
Soll das Hohn sein? Gegenüber mir oder Linda oder sogar uns beiden?
Ist das alles vielleicht Verarsche gewesen? Verarschen wir das Filmmädchen ein wenig, damit sie nicht mehr so aufmüpfig daherkommt.
Milo erhebt sich von seinem Stuhl und geht zum Buffet. Als er an unserem Tisch vorbeikommt, sagt er ganz leise, sodass ich nicht mal sicher bin, ob ich es richtig verstanden habe: »In zwei Minuten draußen.« Dann ist er wieder verschwunden.
Ich sehe verwirrt zu Edgar.
»Nun geh schon«, stöhnt er.
Scheinbar hat er mehr mitbekommen als ich. Er deutet mit seiner Gabel Richtung Tür, und ich stehe auf, unsicher, aber da Edgar nickt, gehe ich nach draußen, setze mich auf eine kleine Steinmauer, atme ein wenig durch. In meinem Bauch herrscht ein großes Durcheinander, und noch mehr in meinem Kopf.
Kurz darauf kommt Milo. Ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll, auf meine Hände, auf den Boden, zum Himmel.
»Alles okay mit dir?«, fragt er, schaut sich verstohlen um und nimmt dann meine Hand.
Ich antworte sicherheitshalber erst mal nicht, weil ich ehrlich nicht weiß, ob alles okay ist mit mir.
»Ist es wegen Linda? Ich dachte, wir hätten darüber geredet. Ich werde es ihr sagen, nicht gleich auf der Stelle, aber ich sag es ihr. Glaubst du mir das nicht?« Er sucht meinen Blick.
»Es fühlt sich trotzdem nicht gut an«, presse ich hervor. »Eben noch mit mir im Bett und zehn Minuten später mit Linda im Schlepptau. Das ist heftig.«
»Ich weiß«, sagt er nur und mehr sagt er nicht, spielt stattdessen mit dem Ring an meinem Finger.
»Weißt du, ich wollte hier einfach nur meinen Job machen. Wenn das mit Linda und dir … ich weiß auch nicht … das wird mir zu kompliziert, glaube ich.« Jetzt kann ich ihm wieder in die Augen sehen und der Knoten in meinem Magen beginnt sich zu lösen.
»Aber es ist gar nicht so kompliziert. Linda ist kompliziert. Aber ich kläre das. Das mit uns ist nur heimlich, für den Moment. Aber heimlich kann auch großartig sein. Wir spielen ein bisschen Verstecken, du wirst sehen, das macht Spaß.« Seine Lippen verziehen sich zu einem verschmitzten Lächeln, und mir schießen unwillkürlich Erinnerungen an die letzte Nacht durch den Kopf.
In dem Moment kommt Linda aus dem Club gelaufen. Ich lasse schnell Milos Hand los. Er sieht meinen Blick und merkt sofort, was los ist.
»Und dann dachte ich, könnte man heute vielleicht alle Instrumente einzeln aufnehmen«, plappere ich übertrieben laut, dass auch Linda es hört.
»Ja, super Idee! Daran habe ich auch schon gedacht.« Milo kratzt sich am Kopf und schaut auf den Boden, als würde er scharf überlegen.
»Na ihr zwei. Was gibt’s hier für Geheimnisse?« Linda stellt sich zu uns und sieht von einem zum anderen.
»Wir planen das Konzert heute Abend«, lügt Milo, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Ach, langweilig«, winkt sie ab. »Ich muss mal meine Klamotten wechseln. Bis später dann.« Sie schlendert davon, ihre Haare flattern nach allen Seiten und die Glöckchen an den Schuhen klimpern im Takt. Wir sehen ihr hinterher, wie sie die Straße überquert, sich noch einmal zu uns umdreht und winkt und dann durch die Tür der Herberge verschwindet.
»Wo war sie die ganze Nacht?«, frage ich und greife wieder nach Milos Hand.
»Rumlaufen«, er zuckt die Schultern. »Das macht sie ständig, melancholisch in der Gegend rumlaufen. Fehlt nur noch, dass sie anfängt zu dichten.«
»Das ist nicht nett«, stelle ich fest.
»Nein, ist es nicht.«
»Wir werden ihr wehtun mit der ganzen Nummer hier.«
»Lass das mal meine Sorge sein.« Er streicht mir über die Wange und Lippen und ich bin fast schon wieder versöhnt.
Er hat recht. Ich muss mir nicht immer Sorgen um die anderen machen. Milo hat gesagt, sie sind nicht zusammen, und sogar Linda hat das gesagt, mehr brauche ich nicht wissen.
Milo zieht mich hinter die Mauer, wir hocken uns hin und küssen uns noch ein paar Sekunden. Und tatsächlich, dieses heimliche Ding prickelt am ganzen Körper.
Am späten Vormittag stehen alle versammelt in dem Innenhof, die Autos sind wieder vollgepackt, und Freddie fällt es schwer, sich von uns zu verabschieden. Ich frage ihn, ob er mir ein paar Abschlussworte in die Kamera spricht.
Er zieht sein Hemd straff und ordnet seine Haare. Dann setzt er ein etwas verkrampftes Lächeln auf.
REC .
FREDDIE VOM RAINBOW: Also, ich arbeite mit jungen Leuten, schon immer und gerne. Manchmal ist das anstrengend, diese Pubertätsdinge und diese
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