Der einsame Baum - Covenant 05
ihren Schutz um Linden und Covenant, als hätten sie das Gefühl, sich dem Zentrum einer Bedrohung zu nähern.
Im Rund des Reichtums bekamen die Gefährten zum erstenmal Männer und Frauen zu sehen, die keine Soldaten oder Wächter waren; diese Personen zählten zum Hofstaat des Gaddhi. Als Gruppe präsentierten sie sich einzigartig schmuck und beneidenswert. Linden bemerkte unter ihnen kein einziges unscheinbares Gesicht, nicht eine schlichte Erscheinung. Alle waren prächtig in reichlich mit Edelsteinen besetzte Samtgewänder gekleidet, in Wämser und Roben, die schimmerten wie Pfauenfedern, in durchsichtige Kleider, die die Glieder umflossen wie Gesten der Verführung. Sie begrüßten Rire Grist in der Sprache der Bhrathair , betrachteten die Gefährten in unterschiedlicher, verblüffter oder unverfrorener Neugier. Doch ihre Gesichter trugen Heiterkeit und Charme als Masken; und Linden merkte, daß sie, obwohl sie durchs Rund spazierten wie sachkundige Bewunderer, dem angesammelten Reichtum keinerlei Beachtung schenkten. Von jeder dieser Personen fühlte Linden Schwingungen innerer Spannung emittieren, als warte man in insgeheimer Beunruhigung auf irgendein Ereignis, das sich als gefährlich erweisen mochte – und gegen das man nichts zur Verteidigung besaß als Würde und Putz. Aber all diese Leute waren Meister des Verheimlichens. Wie der Caitiffin ließen sie sich keinerlei Sorge anmerken, die für andere als Lindens Sinne feststellbar gewesen wäre. Lindens Wahrnehmung jedoch teilte ihr unmißverständlich mit, daß die Sandbastei eine Örtlichkeit war, an der die Furcht herrschte. Ein Mann schenkte Linden ein Lächeln, das sich durch die oberflächliche Offenheit eines scheelen Grinsens auszeichnete. Lautlos durchmaßen Bedienstete die Räume, boten Becher mit Wein und andere Gefälligkeiten an. Die Erste vermochte sich kaum von einer speziellen Klinge zu trennen, die nach vorn geneigt in ihrem Gestell stand, als beuge sie sich ihr entgegen. Mit geheimem Schaudern begriff Linden, daß das Rund des Reichtums mehr als lediglich den Zweck hatte, den Gaddhi mit Prunk auszustatten. Es diente auch als Köder. Sein bloßer Glanz war eine Gefahr für Leute, die allen Grund hatten, auf der Hut zu sein.
Plötzlich durchlief ein Zittern die Luft, veranlaßte Linden zum Stehenbleiben. Ein Moment verstrich, ehe sie erkannte, daß niemand außer ihr es gespürt hatte. Kein Geräusch war die Ursache, vielmehr eine Präsenz, die die Atmosphäre im Rund auf eine Weise veränderte, die nur Linden wahrzunehmen vermochte. Und die näherte sich den Gefährten. Während sie näher kam, verstummte das Gesäusel von Stimmen, das durch die Räumlichkeiten raunte.
Bevor Linden ihre Gefährten warnen konnte, trat ein Mann ein. Sie wußte, wer er war, noch ehe Rire Grists Verbeugung und Grußwort verrieten, daß es sich um den Wesir des Gaddhi handelte. Die Machtfülle, die er verströmte, war so konkret wie eine Ankündigung. Er konnte niemand anderes sein als ein Thaumaturg. Die Aura, die er ausstrahlte, sprach von Gier. Er war ein hochgewachsener Mann, überragte Linden mit Schultern und Kopf; aber seine Gestalt war dermaßen hager, daß er ausgezehrt aussah. Seine Haut besaß die Durchsichtigkeit hohen Alters, enthüllte das blaue Netzwerk der Adern. Seine Gesichtszüge allerdings waren keineswegs alt, und er bewegte sich, als hege er volles Vertrauen zur Vitalität seiner Gliedmaßen. Trotz der ihm nachgesagten Langlebigkeit machte er den Eindruck, nicht älter als siebzig Jahre zu sein. Leichte Wäßrigkeit verschleierte seine Augen, trübte ihre Farbe, aber nicht das Eindringliche seines Blicks. In schlagartiger Intuition ersah Linden, daß die Gier, die von ihm ausging, Gier nach Zeit war – daß sein Verlangen nach Leben und immer längerem Leben die Übersättigung von Jahrhunderten überstieg. Er trug ein goldfarbenes Gewand, dessen Saum beim Gehen über den Fußboden strich. An einem gelben Band hing ihm ein goldener Ring um den Hals, wie ein Monokel ohne Glas. Um jede Schulter verlief ihm ein lederner Gurt, als hätte er einen Rucksack dabei. Erst als er sich umdrehte, um auf die Begrüßung des Caitiffin zu antworten, sah Linden, daß seine Last ein Kind war, gewickelt in gelben, mit Gold durchwirkten Seidenstoff. Nach einer kurzen Unterhaltung mit Rire Grist kam der Wesir herüber zu den Gefährten.
»Ich bin hocherfreut, euch willkommen heißen zu dürfen.« Eine geringfügige Zittrigkeit des Alters durchzog seine
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