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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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gelangte, wirkte beinahe groß und hoch genug, um das ganze Stockwerk in Anspruch zu nehmen. An dieser Seite erhellte lediglich der Widerschein von Licht ihn, und die Düsterkeit verlieh der immensen Räumlichkeit die Atmosphäre einer riesigen Höhle. Die Decke verschwand im Schatten. Die Hustin, die nahebei die langgestreckte, gekrümmte Wand säumten, wirkten in ihrem Aussehen so vage wie sehr alte Standbilder. Und die Wand selbst war tief zerkerbt von den Darstellungen großer, wie zermarterter Gestalten – in Flachrelief abgebildete Dämonen, die die Dunkelheit zu beleben schienen, so daß sie die Ränder von Lindens Blickfeld unsicher machten wie in einer Gavotte der Qual. Der Fußboden bestand aus zu makellosen Kreisen geschnittenen Steinplatten. Doch die Lücken zwischen den runden Platten waren weit, tief und stockfinster. Mit einem Fehltritt konnte man sich ohne weiteres einen Fußknöchel brechen. Infolgedessen mußten sich die Gefährten, um sich dem Licht nähern zu können, mit erheblicher Vorsicht voranbewegen. Auch der Rest des Saals zielte auf Einschüchterung ab. Alles Licht war auf die »Kanzel« gerichtet; es stammte von Oberlichtern, von Becken, in denen Öl brannte und die mit auf Hochglanz polierten Reflektoren versehen waren, von leuchtenden Kandelabern auf hohen Pfosten; alle Helligkeit fiel ausschließlich auf den Platz des Gaddhi. Und die Kanzel selbst war so eindrucksvoll, wie man sie mit Kunst und Reichtum nur hatte machen können. Auf einem abgestuften Sockel erhob sie sich als Monolith, wie ein ausgestreckter Arm mit einer Hand, empor zur Decke. Der Arm war reich mit kostbaren Steinen und Metallen bedeckt, und die Hand bildete hinter dem Sitz eine Aurora aus konzentrischen Kreisen. Die Kanzel beherrschte den gesamten Saal und sah riesengroß aus. Nach einem Moment der Betrachtung aber erkannte Linden, daß dieser Eindruck zurückzuführen war auf das Licht und die Form des Saals. Der Helligkeitskreis ließ den erleuchteten Teil der Decke niedriger wirken und gab der Kanzel einen Anschein von viel mehr Größe, als sie wirklich besaß. Der Thron gleißte von Licht und Juwelen und zog wie ein Gegenstand allgemeiner Verehrung sofort jedermanns Blick an. Linden hatte Schwierigkeiten dabei, sich zum Achtgeben darauf zu zwingen, wohin sie die Füße setzte; und ihre stillen Befürchtungen verschlimmerten sich nochmals. Während sie sich darum bemühte, zu gehen, ohne in eine der Lücken zu stolpern, die den ganzen Fußboden bis zum Sockel der Kanzel durchsetzten, begann sie das Rund der Hoheit zu verstehen. Es war darauf angelegt, jedem ein Gefühl der Schutzlosigkeit einzugeben, der es betrat, und ihn unterwürfig zu machen. Linden wehrte sich instinktiv dagegen. Mit finsterer Miene, als wäre sie hier, um eine Revolte gegen den Herrscher von Bhrathairealm anzustiften, blieb sie hinter den Riesen, nahm ihren Platz zwischen ihnen ein, als Rire Grist ein kurzes Stück vor dem Sockel verharrte. Ringsum verteilten sich die Höflinge nach den Seiten, um vor dem Sitz des Gaddhi einen schweigsamen Halbkreis zu bilden. Linden musterte ihre Gefährten und stellte fest, daß sie sich dem machtvoll Beeindruckenden des Runds der Hoheit nicht verschließen konnten; sogar die Haruchai empfanden anscheinend etwas von jener Ehrfurcht, die einst ihre Vorfahren dazu bewog, Lord Kevin Landschmeißer den Treueschwur zu leisten. Hohls Interesselosigkeit und Findails gleichgültige Miene trösteten Linden wenig. Aber eine klare Ermutigung gab ihr die unbeugsame Deutlichkeit, mit der Covenant seine inhaltslose Redewendung wiederholte. »Rühr mich nicht an!«
    Linden sorgte sich, er könne an diesem Ort auf die hinterhältigste und gefährlichste Weise angetastet werden.
    Einen Moment später erklang erneut ein Läuten. Augenblicklich nahm die Beleuchtung an Helligkeit zu, als habe man sogar die Sonne dazu aufgerufen, dem Erscheinen des Gaddhi beizuwohnen. Ruckartig verfielen die Hustin in eine noch starrere Haltung, hoben zum Salut ihre Spieße. Einige Sekunden lang zeigte sich niemand. Dann kamen mehrere Gestalten aus dem Schatten des Sockels, als wären sie dank des Zunehmens der Helligkeit materialisiert. Als erster erstieg ein Mann die Kanzel. An jedem seiner Arme hing – ehrerbietig und gleichzeitig besitzergreiferisch – eine Frau. Dahinter folgten sechs weitere Frauen. Den Schluß machte Kasreyn von dem Wirbel, seinen Sohn auf dem Rücken. Sämtliche Höflinge beugten ein Knie und verneigten sich tief.

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